Hamburg. Vergiftetes Wasser, Salmonellen, Panik: Große Festivals brauchen gute Sicherheitsstrategien – und jemanden, der vor Sturm warnt.

Eine große Bühne wird es geben, aber keine Zelte am Eichbaumsee, wenn am 12. und 13. August wieder das Wutzrock-Festival steigt. Anderswo sind größere Festivals geplant: Rock am Ring etwa rechnet zu Pfingsten mit bis zu 85.000 Besuchern, das ist schon eine temporäre Kleinstadt. Auch das traditionelle Heavy-Metal-Festival in Wacken ist mit rund 75.000 Fans Anfang August schon nahezu ausverkauft. Genau hier hat sich zuletzt die Lohbrügger Studentin Katarina Chmielewski häufiger umgesehen – für ihre Bachelorarbeit im Studiengang Gefahrenabwehr. Ihr Thema: Sicherheitsstrategien für große Festivals.

Was ist, wenn es Massenanfälle von Verletzten gibt? Wenn plötzlich eine Panik ausbricht? Fünf Szenarien betrachtet die 30-Jährige, angefangen beim terroristischen Anschlag: „Wenn Kriminelle einen giftigen Erreger über einen Wassersprenger verteilen, etwa Bakterien des Stamms Clostridium Botulinum vor der Bühne versprühen, darf niemand wegrennen. Am besten bleiben alle vor Ort, die gefährliche Sehstörungen und Atemprobleme bekommen“, sagt Chmielewski und erklärt, dass die Rettungskräfte nur dann am besten die Betroffenen separieren und durch Fluchtkorridore wegbringen können, in Richtung Intensivstation. „Schnelldetektoren können rasch ausschließen, ob chemische Waffen oder ein Nuklearangriff mit Strahlungsabgabe im Spiel sind. Durch einen PCR-Test lässt sich zudem nach etwa vier Stunden vor Ort herausfinden, ob der Erreger von Mensch zu Mensch übertragbar ist.“

Gefahrenabwehr: Was ist, wenn die Pommes vergiftet sind?

Katarina Chmielewsi (30), Expertin für Gefahrenabwehr.
Katarina Chmielewsi (30), Expertin für Gefahrenabwehr. © BGZ | Privat

Das zweite Szenario ist nicht minder spannend, diesmal geht es um vergiftete Pommes. „Ich habe als Beispiel mal Rizin gewählt, weil man das relativ einfach selbst herstellen kann. Dieses Toxin führt schnell zu Übelkeit und Erbrechen“, sagt die Studentin, die bereits eine Ausbildung zur Bio-Technischen Assistentin absolviert hat. Allerdings ist auf einem Festival oft auch ziemlich viel Bier im Spiel, daher merkt mancher Gast erst nach Stunden, dass die Übelkeit andere Gründe haben könnte. Wenn die Sanitäter dann aber alle von demselben Pommesstand erfahren, ist die Sache schnell geklärt, werden Proben ins Labor geschickt.

Eine dritte Variante ist die Androhung, die Wasserleitung sei vergiftet: „Dann muss man den Betrieb unterbrechen und kann erst bei Entwarnung weiterfeiern“, sagt Katarina Chmielewski und erzählt: „In Wacken gibt es unterirdische Bier-Pipelines, die sehr gut bewacht sind.“ In einem solchen Fall muss die Gefahreneinschätzung präzise sein, sagt Prof. Karsten Loer, der die Arbeit betreut hat: „Es liegt im Ermessen der Polizei, einzuschätzen, ob es sich um eine leere Drohung handelt oder nicht. Ein Festival zu schließen bedarf eines hohen Sicherheitsaufkommens und kann Stresssituationen auslösen. Es aber laufen zu lassen und womöglich Krankheiten weiterzutragen, ist ebenfalls schwierig.“ Er kennt sich mit solchen Maßnahmenplänen aus, war er doch selbst sieben Jahre lang Berater für Sicherheitskonzepte – spätestens seit den Toten auf der Duisburger Love Parade 2010 sind nicht nur Hygienekonzepte, sondern auch Brandschutz- und Fluchtwegeplanung sehr gefragt. Eines sei seither klar: Niemals wieder Tunnel!

Auch eine Corona-Infizierung muss einkalkuliert werden

Seine größte Herausforderung sei indes ein Festival mit Disco und Bars auf zwei Ebenen gewesen: „Da brauchten wir ein Brandschutzkonzept mit Blitzschutz.“ Ebenfalls schwierig wird es, wenn – wie beim Hamburger Hafengeburtstag – die Infrastruktur mit bedacht werden muss, samt An- und Abreise sowie die Klinik-Auslastungen. „Das gilt auch für die Soester Allerheiligenkirmes, wo in einer Woche 1,5 Millionen Leute zu Gast sind“, sagt der 51-Jährige.

Das vierte Szenario seiner Studentin kalkuliert mit einer Corona-Infizierung: „Vor zwei Jahren dachte ich noch, man könne das Festival dann einfach fortsetzen, aber heute schätze ich das ganz anders ein, denn da kann man überhaupt nichts machen, außer die Infizierten abholen zu lassen oder per Taxi in heimische Quarantäne zu schicken“, weiß Katarina Chmielewski inzwischen.

Gefahrenabwehr: Sicherheitshinweise auf Veranstalter-Homepage beachten

Für ganz nicht abwegig hält sie Szenario Nummer fünf: eine Salmonellen-Vergiftung – wobei es wohl kaum Tausende von Erkrankten gäbe, wenn die Spaghetti Carbonara, die asiatischen Eiernudeln oder die beliebten Käsespätzle zu lange in der Sonne waren, weil die Kühlkette nicht funktionierte: „Eine klassische Lebensmittelvergiftung ist nicht unwahrscheinlich, aber dafür muss man kein Festival abbrechen“, sagt die 30-Jährige, die gern auch das Hurricane oder das Dockville-Festival besucht.

Auch wenn es kaum ein Besucher tut: Wichtig seien die Sicherheitshinweise auf den Homepages der Veranstaltungen – etwa bei Panik: „In Wacken gibt es keine Wellenbrecher vor den Bühnen, sondern zwei Tore, die zu Entfluchtungsflächen auf Wiesen führen. Das muss dann auch ein Moderator auf der Bühne ruhig erklären.“ Denn meist laufen die Menschen bekannte Wege, also zurück zum Auto oder zu ihrem Zelt. Wenn ein Unwetter naht, so Loer, „sollte man unbedingt den Autoschlüssel in der Tasche haben“.

Sind bewusstseinsveränderte Drogen im Spiel, wird es schwierig

Dennoch sollte und könne der Spaß ganz entspannt im Vordergrund stehen, betont der HAW-Professor: „Es gibt eine tägliche Sicherheitsrunde, man ist permanent im Funkkontakt, arbeitet mit Polizei, Feuerwehr, Gesundheitsamt und Ordnungsbehörde zusammen. Außerdem gibt es meist einen Hightech-Container mit einem studierten Meteorologen, der Winde und Wetter im Blick hat.“

Für ihre Arbeit wurde Chmielewski jedenfalls vom Verein zur Förderung der Sicherheit von Großveranstaltungen ausgezeichnet. Doch sie weiß, dass nicht jede Gefahr schnell einzuschätzen ist: „Schwierig wird es, wenn massiv bewusstseinsverändernde Drogen genommen werden“, sagt die 30-Jährige, die jetzt noch den Master Geophysics an der Uni Hamburg studiert: „Mein neuer Schwerpunkt sollen Erdbeben und Vulkanausbrüche sein.“