Hamburg. Jonas Goebel in Lohbrügge entwirft ein innovatives Spendenmodell. Der 32-Jährige sorgte schon mit anderen Ideen für Schlagzeilen.
Lässt sich der Glaube an einen Gott in Gold aufwiegen? Natürlich nicht, „aber es geht doch darum, dass wir hier vor Ort etwas Wichtiges für die Gemeinschaft leisten. Und das muss nun mal finanziert werden“, meint Jonas Goebel. Der Pastor der Auferstehungsgemeinde, der monatlich beim „Predigt-Bier“ zum Diskutieren einlädt, denkt über ein hochaktuelles, wenn auch etwas brenzliges Thema nach: Was wäre, wenn es statt einer Kirchensteuer künftig ein „Kirchen-Abo“ gäbe? So wie beim Streaming-Dienst Netflix – samt Basistarif, Premium- und einem All-in-Abo.
„Auf jeden Fall aber bleiben natürlich unsere grundsätzlichen Angebote wie Gottesdienste und Seelsorgegespräche im kostenfreien Basis-Abo“, sagt der 32-Jährige, der bei seinen 2500 Gemeindemitgliedern durchaus unterschiedliche Arten von Unterstützung erkannt hat: Die einen spenden zweimal jährlich eine vierstellige Summe, andere schenken ihre unermüdliche Tatkraft oder geben einmalig 5000 Euro für die Sanierung der Dachkuppeln am Gemeindehaus.
Auch die passiven Mitglieder sind wichtig für die Kirche
„Wiederum andere zahlen seit 50 Jahren Kirchensteuer, nehmen aber das Angebot der Gemeinde überhaupt nicht wahr“, so Goebel, der etwa an passive Mitglieder im Fitnessstudio denkt: „Diese Unterstützung ist für unsere Gemeinde genauso wichtig. Manche Leute haben auch kein Auto, bezahlen aber den Straßenbau mit.“
Das gesamte Finanzsystem brauche mehr Flexibilität. Denn eine kleine Gemeinde wolle zwar gern viele Mitglieder haben, brauche aber insbesondere auch jene, die tatsächlich die Kirchensteuer bezahlen – in Hamburg neun Prozent von der Einkommenssteuer: „Das Geld wird ja paritätisch verteilt und kommt nicht direkt bei uns an“, sagt der Lohbrügger Pastor, der auch an die vielen Rentner denkt, die gar keine Kirchensteuer bezahlen. Oder an jene Getauften und Konfirmierten, die in ihrem ersten Arbeitsvertrag „keine Konfession" ankreuzen.
Die Kirchensteuer dürfte sich bis 2060 halbieren
„Früher prasselte das Geld vom Himmel. Weil die Wirtschaft wächst, ging es uns die letzten zehn Jahre Bombe. Zugleich verlieren wir seit zwei Jahrzehnten jährlich ein Prozent unserer Mitglieder“, rechnet Jonas Goebel vor – und verweist auf die aktuelle Freiburger Studie von Gutmann und Peters: Ihr zufolge werden die evangelische und katholische Kirche in Deutschland bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder und Kirchensteuer einbüßen. Aber weniger der demografische Wandel als die Austritte und unterbliebene Taufen seien dafür verantwortlich. „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, weil ja auch Vereine und Parteien Mitglieder verlieren. Aber zugleich dürfen wir nicht den Kopf in den Sand stecken und können etwas erreichen, wenn wir transparenter werden“, meint Goebel.
Er ist sich sicher: „Die Leute wollen genau wissen, was mit ihrem Geld passiert. Bei einer Sozialbank können sie ja auch aussuchen, ob sie in Soziales, Ökologie oder Ernährung investieren.“ Ähnlich könnte die Gemeinde anbieten, in den offenen Jugendtreff, die Altenarbeit oder die Gebäuderücklagen zu investieren: „Du loggst dich einfach bei der Kirche ein und hast mehrere Optionen“, erklärt der Pastor, der („obwohl Fundraising für Verwaltungskosten wenig sexy ist“) den Bürgern mehr Mitsprache und Entscheidungsrechte zusprechen möchte: „So gibt Kirche zwar ein Stück Macht ab, aber die Menschen entscheiden selbst, was ihnen wichtig ist.“
Großes Projekt der Zukunft: Die Kirchturmsanierung steht an
Denkbar sei das Abo-System zunächst als kleines Pilotprojekt – parallel zur Kirchensteuer. Denn um die tatsächlich abzuschaffen, müsste erst das Kirchenrecht geändert werden, so Goebel: „Das ist nicht mein Level. Da müsste auf allerhöchster Ebene entschieden werden, dass man künftig Kirchenmitglied sein kann, ohne Steuern zu bezahlen. Schließlich wollen die Leute ja weiterhin heiraten oder Taufpaten sein dürfen.“
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Und die Lohbrügger scheinen ihrer Kirchengemeinde sehr treu zu sein: Allein im Corona-Jahr 2020 konnte am Kurt-Adams-Platz ein Spitzenwert eingesammelt werden: „Da haben sich die Spenden auf 20.000 Euro fast verdoppelt, denn die Leute hatten Zeit und wollten was Gutes tun“, sagt der Pastor, der vor großen Ausgaben steht: 1,2 Millionen Euro würde die Sanierung des maroden Kirchturms kosten. Als Alternative muss noch ein Neubau kalkuliert werden. „Der Gutachter hat uns jetzt noch Zeit bis Ende 2023 gegeben. Bis dahin ist hoffentlich eine grundsätzliche Entscheidung mit der Denkmalpflege getroffen, denn die Kirche hat ja vieles Türme aus den 60er- und 70er-Jahren. Wäre schon toll, wenn da nicht jede kleine Gemeinde einzeln verhandeln müsste.“
- Kirchensteuer im Norden
Nach der Freiburger Studie mit dem Titel #projektion2060 (Neukirchener Verlag, 240 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3-7615-6777-7) sieht sich die Mehrheit der Deutschen bald nicht mehr an eine Kirchenzugehörigkeit gebunden. 2019 lebten auf dem Territorium der Nordkirche 6,4 Millionen Einwohner, von denen knapp ein Drittel evangelisch ist. Von 5,9 Millionen Einwohnern auf dem Gebiet der Erzdiözese Hamburg sind etwa sieben Prozent katholisch.
In dieser Region Norden betrug das Kirchensteueraufkommen 2019 insgesamt 667 Millionen Euro. Davon zahlten 120 Millionen Euro die Katholiken, deren Anteil bei sieben Prozent in der Bevölkerung liegt und 547 Millionen Euro Menschen protestantischen Glaubens (das sind 30 Prozent der Bevölkerung).
Eine weitere Zahl erscheint interessant, wenn es um den mangelnden Nachwuchs der Kirchenmitglieder geht: 2019 gab es im Norden 11.500 evangelische Kindstaufen – das entspricht lediglich 62 Prozent der Geburten von konfessionell gebundenen Müttern (unter den katholischen Taufen waren es 35 Prozent).