Hamburg. Kampfsportgruppe Ludus Nemesis trainiert jeden Sonnabend. Was neben historischen Waffen und antiken Unterhosen zur Ausstattung gehört.

Speere und Dreizack klingen aufeinander, auch stumpfe Dolche oder Schwerter mit 30 Zentimeter langer Klinge: Eine verdammt gute Deckung braucht es, damit kein ungeschützter Bauchtreffer über dem Gürtel gezählt werden kann. Und schnell müssen sie sein, obwohl man durch den 3,8 Kilogramm schweren Flossenhelm kaum gucken kann. Und so geht es hoch konzentriert zur Sache in der Bergedorfer Gladiatorenschule Ludus Nemesis, benannt nach der griechischen Rachegöttin: Jeden Sonnabend treffen sich bis zu sechs aktive Kampfsportler in der Schulturnhalle an der Leuschnerstraße und trainieren zwischen 10 und 15 Uhr.

„Da gilt es, viel Adrenalin unter Kontrolle zu halten“, erklärt Schiedsrichter André Tippner, der in einer weißen Tunika gewandet jeden Zweikampf mit dem lateinischen Wort „Pugnate“ startet: kämpft! „Wir haben das Ziel, die römische Gladiatur mit Schaukämpfen so realistisch wie möglich darzustellen“, erzählt der 46-Jährige, der sich schon seit 2009 Gaius Antonius Maximus nennt. Das erinnert nicht ans Mittelalter, sondern an die Zeit der Gladiatoren, die 260 vor Christi bis 411 nach Christi lebten.

Bergedorfer Gladiatoren von Ludus Nemesis tragen besonderes Kampfgewand

„Meist kämpften Sklaven gegeneinander, und ungefähr jeder zehnte Kampf endete tödlich“, weiß der Mann, der in der Verwaltung des Boberger Unfallkrankenhauses arbeitet: „Alles andere wäre unwirtschaftlich gewesen, denn ein solcher Gladiator wurde ein Jahr lang ausgebildet und bekam das Jahresgehalt eines Handwerkers im alten Rom. Wenn er gut war, stieg sein Wert auf das Zwei- bis Fünffache.“

Johann und Steffen mit ihren schweren Helmen und Schilden, die dem Geschmack des antiken Rom nachempfunden sind.
Johann und Steffen mit ihren schweren Helmen und Schilden, die dem Geschmack des antiken Rom nachempfunden sind. © bgz | Anne Strickstrock

Und keineswegs mussten sie alle dickfellig sein, um die Schläge abzuwehren. Gerste und Bohnen sollten für viel Eiweiß und Proteine sorgen. Damit scheint sich der muskulöse Johann Hummel auszukennen, ein 26-Jähriger aus Ohlsdorf: „Ich habe zehn Jahre lang American Football gespielt und wollte dann vor zwei Jahren etwas komplett anderes machen“, erzählt der Mann, der sich „Adler“ nennt. Faszinierend ist sein Kampfgewand, samt Beinschiene und Armschutz aus gestopftem Leinen. Dazu wickelt er sich ein 2,5 Meter langes, rotes Tuch um die Hüften: „Das ist eine antike Unterhose mit hübschem Faltenwurf“, sagt der Sportstudent und verrät: „Darunter trage ich noch einen Tiefschutz.“

Kampfsportler filmen das Training für spätere Analysen

Wichtiges aber ist, was er in der Hand hält: ein rechteckiges Schild aus geleimtem Holz, das seine Schwester mit einem Adler und einem Gladius bemalt hat. Als authentische Vorlagen dienen Fresken, Mosaike und Reliefs.

Gefährliche Gesellen tranieren sonnabends auf dem Lohbrügger Schulhof.
Gefährliche Gesellen tranieren sonnabends auf dem Lohbrügger Schulhof. © bgz | Anne Strickstrock

„Ich bin sehr geschichtsinteressiert, so kam ich zu dem Hobby“, erklärt Metrodorus, der eigentlich Steffen Schröder heißt und aus Berlin stammt. Der Zeitsoldat bei der Marine hat einen bloß kleinen Schild aus Holz, dazu Helm und Beinschienen aus Bronze: Der 37-Jährige ist erst seit neun Monaten dabei und gilt noch als todesmutiger Auszubildender. „Deshalb habe ich auch kein Eisen, sondern einen Holzspeer, der weniger risikoreich ist.“

Zweikampf der Gladiatoren mit Dolch und Dreizack in der Turnhalle.
Zweikampf der Gladiatoren mit Dolch und Dreizack in der Turnhalle. © bgz | Anne Strickstrock

Sogar gänzlich ohne Helm geht Alexander Kulisch in den Zweikampf, in einem Arbeitergewand samt Schulterschutz, mit Leder-Gamaschen und Metallgürtel. Als Zerberus (Höllenhund) liebt er das Experimentieren in freien Kämpfen (es gibt keine einstudierte Choreografie): „Daher stellen wir auch stets eine Videokamera auf, dann können wir unsere Technikübungen auf der Arena besser analysieren“, sagt der 37-Jährige. Wohl auch im wahren Leben kennt der Lohbrügger umsichtige Versuche – als pädagogischer Mitarbeiter in der geschlossenen Psychiatrie von Sachsenwaldau.

Gladiatorenschule in Bergedorf wurde von einer Frau gegründet

Die Gladiatoren-Ausrüstung sollte so authentisch wie möglich sein.
Die Gladiatoren-Ausrüstung sollte so authentisch wie möglich sein. © bgz | Anne Strickstrock

Drei bis vier Auftritte hat die Gladiatorenschule pro Jahr, so etwa seit elf Jahren beim Latein-Tag im altsprachlichen Wilhelm-Gymnasium in Harvestehude. Auch beim Römertag im Freilichtmuseum Oerlinghausen (Nordrhein-Westfalen) sind sie dabei oder im Limeskastell Pohl im Taunus. „Es gibt vielleicht sechs Ludien in Deutschland, die Kölner Gladiatorenschule hat sogar mehr als 20 Mitglieder“, erzählt André Tippner. Als Nächstes freue sich die Gruppe auf ein gemeinsames Trainingslager am 14. September in Bergkamen. Dort müssen sie keinem erklären, dass der Kampf gegen Löwen ein Irrglaube ist: „Das haben keine Gladiatoren gemacht, dafür gab es extra Tierkämpfer, sogenannte Venatoren.“

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Im Übrigen war es eine Frau, die die Bergedorfer Kampfschule 2006 gründete. Bis heute betreut Svenja Fabian die Internetseite www.ludus-nemesis.eu, erreichbar ist die Lohbrüggerin auch auf Instagram oder per Mail unter ludusnemesis@gmx.de. Denn im wahrsten Sinne suchen die Gladiatoren noch Mitstreiter, und weitere Frauen sind sehr willkommen. Bloß keine Sorge, meint André Tippner: „Die Sicherheit geht bei uns immer vor. Schließlich müssen wir montagmorgens alle wieder zur Arbeit, höchstens mal mit blauen Flecken.“

„Pugnate!“, ruft der Schiedsrichter vor jedem Kampf und kontrolliert alle Treffer auf ungeschütztem Körper.
„Pugnate!“, ruft der Schiedsrichter vor jedem Kampf und kontrolliert alle Treffer auf ungeschütztem Körper. © bgz | Anne Strickstrock