Bergedorf. Weil er seine Großeltern überraschen wollte, stürzte sich Silvio Huremovic in ein Extremsport-Abenteuer durch sechs Länder.
Endlich herrschen wieder sommerliche Temperaturen bei uns im Norden! Nichts wie raus ins Freie! Vor allem Fahrradurlaube werden hierzulande immer beliebter. 4,6 Millionen Deutsche verbrachten 2022 ihren Urlaub auf zwei Rädern. Das sind schon fast wieder so viele wie vor Corona (5,4 Millionen). Doch was nimmt man mit? Was ist unnötiger Ballast? Vor dieser Frage steht jeder, der mit dem Rad losziehen will. Vor dieser Frage stand auch der Bergedorfer Silvio Huremovic. Der 28-Jährige, dessen Familie aus Bosnien-Herzegowina stammt, hatte sich im vergangenen Sommer eine völlig verrückte Idee in den Kopf gesetzt: Er wollte seine Großeltern im 2855 Kilometer entfernten Mostar besuchen – mit dem Rad!
Sein Vater Sascha „Jassi“ Huremovic, der Trainer des Fußball-Oberligisten ETSV Hamburg, konnte es kaum glauben, als er von den Plänen des 28-Jährigen erfuhr. „Wenn ich mit dem Auto zwei Tage lang nach Mostar fahre, dann bin ich hinterher schon völlig erledigt“, gibt der Papa unumwunden zu. „Aber mit dem Rad?“ Doch Sohn Silvio meinte es ernst. Wochenlang trainierte er auf sein großes Ziel hin, baute in seinen Radweg zur Arbeit von Wentorf nach Tiefstack reichlich Umwege ein.
Extremsport: Tour durch sechs Länder war wie ein Sprung in ein unbekanntes Gewässer
Der gelernte Kfz-Elektriker ist ein Modellathlet und es seit jeher gewohnt, vieles auf zwei Rädern zu erledigen. „Als Autofahrer hingegen nerven mich Radfahrer oft, weil für sie keine Verkehrsregeln zu existieren scheinen“, gibt der 28-Jährige unumwunden zu. Sportlich war er schon immer, schob vor seiner Ausbildung für die DLRG Sachsenwald Wachdienst am Tonteich. Doch diese Tour durch sechs Länder, das war wie ein Sprung in ein unbekanntes Gewässer.
Und da war ja noch diese Frage: Was nimmt man mit? „Ich habe mir einen Wäschekorb in die Wohnung gestellt“, erzählt Silvio Huremovic. „Da flog sechs Wochen lang alles rein, von dem ich glaubte, es müsste unbedingt mit. Dann habe ich immer weiter reduziert. Man muss wirklich minimalistisch sein.“ So gestand sich der Bergedorfer für die gesamte Tour von knapp drei Wochen nur zwei Outfits zu, eines trug er am Körper, das andere war verpackt. Schuhe? Werden überbewertet! „Ich hatte nur meine Radrennschuhe und ein paar Latschen dabei, sonst nichts“, schmunzelt Huremovic. Eine Entscheidung, die noch eine Rolle spielen sollte.
Das Handy ist die Schaltstelle der gesamten Tour
Insgesamt hatte er schließlich ein Gesamtgewicht von knapp 30 Kilogramm dabei, davon wog das Fahrrad allein gut zehn Kilogramm und weitere 4,5 Kilogramm gingen für Verpflegung drauf. Die wichtigsten Utensilien in seinem Gepäck: das Handy und die Power Bank zum Aufladen des Akkus unterwegs. Denn über das Handy lief alles, das Kartenmaterial, die Buchung der Campingplätze und vieles andere. Ein Handy ohne Strom war keine Option. Und Huremovic verrät noch einen Trick: „Ich hatte so eine kleine Extra-Tasche für Pass und Geld, die sich ans Fahrrad klicken ließ. Extrem praktisch!“
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Am 8. August 2022 um 8.22 Uhr ging’s los: Gleich am dritten Tag baute Huremovic eine Extratour ein, bewältigte im Harz den Anstieg zum 1141 Meter hohen Brocken. „Ich bin nun mal der Typ, der nicht an einem Berg vorbeifahren kann. Ich muss da rauf.“ Bei seinem Anstieg zum Harz-Gipfel zog der Bergedorfer die neugierigen Blicke der anderen Fahrrad-Touristen auf sich: „Ich war der einzige, der da mit Gepäck hoch fuhr.“ Am Ende des sechsten Tages erreichte er den Chiemsee. Endlich ein Tag Pause und Zeit, die Kette zu ölen. Den Streckenplan hatte er sich bei Rad-Enthusiasten auf Youtube abgeschaut.
Als das Zelt in Slowenien unter Wasser stand
Mit frischen Kräften ging es weiter in Richtung Alpen. „Als ich die Berge das erste Mal sah, habe ich erst realisiert, was ich da gerade mache“, erinnert sich Huremovic. „Ich war vielleicht schon zwei Dutzend Mal mit dem Auto in den Alpen, aber ich habe sie noch nie so erlebt wie dieses Mal.“ Ein Gewitter in Italien erwischte ihn eiskalt, ein Unwetter in Slowenien zerriss dann sogar einige Zelte auf dem Campingplatz, zum Glück nicht seins. „Aber alles im Zelt war nass“, erinnert sich der 28-Jährige. „Die Kleidung, die Iso-Matte, alles war aufgeweicht. Ich habe dann beschlossen: Dann fahre ich halt nass weiter.“
Auf dem Weg Richtung Kroatien konnte der Bergedorfer derweil nicht ahnen, dass ihm das Unwetter noch ein ganz anderes Problem hinterlassen hatte: Das Wasser hatte das Fett eines Kugellagers ausgewaschen, das nun versagte. Das hieß: Zehn Kilometer schieben in Badelatschen bis zum nächsten Ort mit Fahrradhändler. Der Verzicht auf Schuhe ließ grüßen. Die Tour nun bei Temperaturen von bis zu 37 Grad zehrte derweil mehr und mehr an ihm. „Einmal, in Slowenien“, beschreibt Huremovic, „habe ich eine Portion ,Fisch für zwei’ ganz alleine aufgegessen.“
Endlich am Ziel: Die Großeltern wussten von nichts
An der Grenze zu Bosnien-Herzegowina war es dann vorbei mit dem Handyempfang. Kein EU-Gebiet mehr. „Die Grenzbeamten haben mich auf Deutsch mit dem Satz ,Das ist ja einer von uns’ begrüßt“, erzählt Huremovic, der schließlich in Mostar auf ungläubige Großeltern traf. Doch für die resolute Oma war das zu viel, wie Vater „Jassi“ Huremovic schmunzelnd preisgibt: „Sie hat ihm das Rad weggenommen, es in den Keller geschoben und gesagt: ,Damit fährst du nicht zurück!’“