Lohbrügge. Schauspieler Jerry Kwarteng aus Lohbrügge ist gut im Geschäft – wünscht sich aber mehr Vielfalt in der Branche. Was er sich vorstellt.
An ihm kommt derzeit kaum ein Fernsehzuschauer vorbei. Wenn um 14.10 Uhr die ARD-Telenovela „Roten Rosen“ über den Bildschirm flimmert, ist Jerry Kwarteng ebenso dabei wie jüngst in Folgen von „WaPo Berlin“ oder „In aller Freundschaft“. Und selbst auf Netflix ist der Schauspieler, der in Lohbrügge aufwuchs, zu sehen: Für die Serie „Zero Chill“ drehte der 46-Jährige, der neben Deutsch fließend Englisch und Spanisch spricht, sogar in England.
Keine Frage: Jerry Kwarteng ist gut im Geschäft. Und doch kämpft der Lohbrügger, der inzwischen in Berlin lebt, für noch mehr Vielfalt im deutschen Fernsehen – und für ein echteres Abbild der bunten, deutschen Gesellschaft. „In den vergangenen fünf Jahren hat sich viel getan“, räumt der gebürtige Hamburger mit ghanaischen Wurzeln zwar ein. Aber es fehle noch immer eine gewisse „Natürlichkeit“ bei der Besetzung von Rollen, meint er.
Streaminganbieter wie Netflix machen es vor
Dabei ist der Prozess in anderen Ländern schon viel weiter – und auch Netflix hat es vorgemacht. Als der Streamingdienst im Jahr 2020 die englische Kurzserie „Bridgerton“ an den Start schickte, sorgten die Macher mit einer so einfachen wie fortschrittlichen Idee für Furore: Sie erzählten eine Liebesgeschichte im England des 19. Jahrhunderts einerseits ganz klassisch – zeigten dabei aber eine bunte Gesellschaft, die bis in den Hochadel hinein aus Menschen aller Hautfarben und Ethnien besteht. Und erklärten die postfaktische Szenerie nur mit einem Halbsatz, nach dem Motto: Ist doch nicht der Rede wert.
Über diese Selbstverständlichkeit ist Jerry Kwarteng voll des Lobes. „Wir müssen auch in Deutschland weg vom klischeehaften Denken“, meint er. Die Branche habe immer noch viel zu wenig Mut, um Rollen entgegen der vermeintlichen Zuschauererwartung zu besetzen oder auch Geschichten mal ganz anders zu erzählen. „Zum Beispiel gibt es so viele Filme über den Zweiten Weltkrieg. Nur schwarze Menschen sieht man da nie. Es gab damals aber schon sehr viele schwarze Menschen in Deutschland. Warum werden diese Geschichten kaum erzählt?“
Gründungsmitglied der „Schwarzen Filmschaffenden Community“ in Deutschland
Jerry Kwarteng war deshalb schon früh einer der Gründungsmitglieder der „Schwarzen Filmschaffenden Community“ in Deutschland. Ihr gehören inzwischen etwa 600 Mitglieder an. Die Kreativen unterstützen sich gegenseitig bei Projekten, setzen sich für mehr Vielfalt und Offenheit bei der Rollenbesetzung ein. Zwar bemühen sich inzwischen mehr Produktionen, die Besetzung divers zu gestalten.
„Aber das hat was von einer Check-Liste, die abgehakt werden muss. Man möchte einfach alles richtig machen“, meint der 46-Jährige. Er wünscht sich stattdessen offene und „farbenblinde“ Castings – dass also einfach der Schauspieler die Rolle erhält, der am besten spielt, egal welcher Hautfarbe und Herkunft.
Jerry Kwarteng spielt den Arzt Dr. Hendrik Althaus
Jerry Kwarteng weiß, wovon er redet. Als Schauspieler bekam er durchaus schon Rollen angeboten, in denen er beispielsweise mit fremdländischem Akzent reden sollte. Dabei ist der 46-Jährige durch und durch ein Hamburger Jung und „Bergedorfer Lokalpatriot“:1976 kam er in Hamburg als Kind eines ghanaischen Paares, das hier Wirtschaft studierte, zur Welt, wuchs als Adoptivkind in Lohbrügge auf. In Hamburg studierte er auch Jura, ehe er in die Schauspielerei wechselte.
Frei von Klischees sei aber seine derzeitige Rolle in der erfolgreichen ARD-Telenovela „Rote Rosen“, lobt der Vater zweier Kinder. Dort spielt er den Arzt Dr. Hendrik Althaus. Dass er in der Serie einen so deutschen Namen trägt und als Figur ganz ohne künstliche Erklärung in die Handlung eingeführt wurde, findet er „beeindruckend“: „Die Telenovela setzt Diversität schnell und natürlich um“, meint er.
„Warum drehen wir in Deutschland kein Fantasy und kein Science-Fiction?“
Auch die Zuschauer der „Roten Rosen“, vornehmlich ältere Frauen, wissen das offenkundig zu schätzen. Jerry Kwarteng erhält „genauso viel Fanpost“ wie seine Kollegen, sagt er, und muss in Lüneburg auch genauso viele Autogramme schreiben.
Mit dem Vormarsch der Streamingdienste würden die Zuschauer selbst zunehmend das Programm bestimmen und hätten so auch der Diversität enorm Vorschub geleistet, stellt der Schauspieler fest. Nun müsse die deutsche Fernsehbranche nachziehen und noch mutiger werden, auch bei den Stoffen und Genres. Krimis, noch mehr Krimis und mal eine Liebeskomödie: Da geht noch mehr, meint er. „Warum drehen wir zum Beispiel in Deutschland kein Fantasy und kein Science-Fiction?“ Und wenn es soweit ist, dann will Jerry Kwarteng auf jeden Fall dabei sein.