Hamburg. Jahrzehntelang lagerten die Präparate fast vergessen in Schränken des Thünen-Instituts. Der Sammler ist weltbekannt.

Wer hätte gedacht, dass kleine Krabbeltiere solche Begeisterung wecken können? Doch „Pholidotus“, „Chasiognathus“ und Tausende andere präparierte Insekten sorgen derzeit im Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg für wahre Euphorie unter Forschern. Denn die Wissenschaftler haben aus Lohbrügge einen Schatz erhalten, von dessen Existenz über Jahrzehnte nur sehr wenige Menschen überhaupt wussten: eine riesige Sammlung des wohl bekanntesten Insektensammlers der Welt, des Franzosen Eugène Le Moult (1882-1967). Bis zu 50.000 Einzelpräparate sehr seltener Insekten werden dem CeNak jetzt vom Lohbrügger Thünen-Institut für Holzforschung als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt.

Schon in den 1930er-Jahren gab es Interesse an der Sammlung

Insgesamt 440 Sammlungskästen gibt es. Neben Käfern sind auch zahlreiche Schmetterlingsarten präpariert worden.
Insgesamt 440 Sammlungskästen gibt es. Neben Käfern sind auch zahlreiche Schmetterlingsarten präpariert worden. © BGZ | Thomas Schwarz

Dass es dazu kam, ist Teil einer ziemlich abenteuerlichen Geschichte. Denn die kleinen Präparate haben eine lange Reise hinter sich. Das Lohbrügger Institut für Holzforschung – das seine Anfänge in den 1930er-Jahren als „Reichsinstitut für ausländische und koloniale Forstwirtschaft“ im Reinbeker Schloss hatte – war durch den damaligen Leiter in den Besitz der Präparate gekommen. Franz Heske hatte sich bereits in den 1930er-Jahren für die Insektensammlung Eugène Le Moults interessiert, sagt Professor Andreas Krause, der heute das Thünen-Instititut für Holzforschung leitet: „Gekauft wurde sie aber erst in den 1950er-Jahren“ – sodass es sich also nicht um verbrecherisch angeeignete Beutekunst aus dem „Dritten Reich“ handelt.

Warum sich Franz Heske als Leiter eines Instituts für Forstwirtschaft so sehr für den Kauf einer Insektensammlung einsetzte, ist bis heute unklar. Eine Vermutung ist, dass es sich teilweise um die Darstellung von holzschädigenden Insekten handelt – doch eben bei Weitem nicht nur. Zudem war Heske selbst Sammler, begeisterte sich für Waffen und für präparierte Tiere aus allen Teilen der Welt, auch aus den ehemaligen deutschen Kolonialgebieten.

Die Insekten zogen von Reinbek nach Lohbrügge

Die Insektensammlung blieb nicht lange in Reinbek. In den späten 1960er-Jahren zog die inzwischen umbenannte Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft – heute Teil des Thünen-Instituts – von Reinbek an die Leuschnerstraße in Lohbrügge. Und die Präparate zogen mit um. Sie wurden in den 1970er-Jahren als Teile einer Holzsammlung kurz in Lohbrügge ausgestellt, „doch dann verschwanden sie in den Schränken“, sagt Professor Andreas Krause. Nur wenige Eingeweihte wussten überhaupt noch davon.

Eher zufällig wurde dieser Schatz nun gehoben. Denn das Institutsgebäude, in dem die etwa 440 schubladenartigen Sammlungskästen lagerten, musste wegen der Brandschutzauflagen einer gründlichen Bestandsaufnahme unterzogen werden. Die Sammlung wurde dabei wiederentdeckt – und Professor Krause, der das Institut für Holzforschung erst seit gut 15 Monaten leitet, zog sofort die richtigen Schlüsse: „Für uns hat diese Sammlung keinen wissenschaftlichen Nutzen“, befand er. „Für andere aber schon.“

Viele Exemplare dienten einst der Erstbestimmung einer Art

Also setzte er sich mit dem Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg in Verbindung. Und löste einen Begeisterungssturm aus: Denn das CeNak besitzt selbst Präparate des Sammlers Eugène Le Moult und kann sie nun zu einer großen Sammlung ergänzen. Es geht um weit mehr als nur ein paar zusätzliche Insektenpräparate. Denn Sammler Eugène Le Moult besaß Insekten-Exemplare, die einst zur Erstbestimmung einer neuen Art dienten, sogenannte Holotypen. Einzigartige Arten also, die teilweise längst ausgestorben sind.

Le Moult war in Französisch-Guyana an der Nordostküste Südamerikas aufgewachsen, begeisterte sich schon als Jugendlicher für die Natur und insbesondere für Schmetterlinge. Die Methoden des Sammlers würden heute wohl auf Protest stoßen: Denn Le Moult begann, die Schmetterlinge zu jagen und an das französische Festland zu verkaufen. Aus dem Geschäft wurde eine regelrechte Industrie mit prominenten Kunden. Le Moult war aber auch kundiger Experte, besaß riesige Sammlungen an Insekten, die er teilweise weiterverkaufte.

Arten wie der seltene Breitrandkäfer sind in der Sammlung dargestellt

Bücher und Filme beschäftigten sich später auch kritisch mit seinem Leben. Was bleibt, ist dennoch ein Fundus für Forscher. Die Experten am CeNak (ab Juli zugehörig zum Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels) staunen nun über seltene Arten wie den Breitrandkäfer, einen in Deutschland fast gänzlich ausgestorbenen Wasserkäfer. Oder diverse seltene Hirschkäferarten in einer Schautafel. Grün schimmernde Käfer, bunte Schmetterlinge, aber auch winzigkleine Krabbeltiere: Die Sammlungskästen zeigen eine bunte Vielfalt aus vielen Teilen der Welt.

Noch ist unklar, ob all die seltenen Insekten auch öffentlich zu sehen sein werden, sagt Professor Andreas Krause vom Thünen-Institut. Zunächst sollen die zahlreichen Präparate – nach all den Jahren in Schränken – von den Experten fachgerecht aufgearbeitet werden.