Curslack/Spadenland. Der Darmkeim löste im Frühjahr 2011 eine Epidemie aus. Wir sprachen mit Gemüsebauern, die damals starke Einbußen erlitten.
Genau zehn Jahre ist es her, da beschäftigte die Menschen in Norddeutschland ein Krankheitserreger: EHEC. Darmkeime, die Durchfall, Übelkeit und Bauchschmerzen sowie im schlimmsten Fall Nierenversagen auslösten. Mitte Mai wurde der erste Patient ins Universitätsklinikum Eppendorf eingeliefert. Nach einer Woche lagen dort bereits bis zu 70 schwer kranke Patienten auf Station. 53 Tote und fast 4000 Erkrankte forderte die Epidemie damals in Deutschland.
Und auch für Gemüsebauern und -produzenten in den Vier- und Marschlanden hatte EHEC weitreichende Folgen: Zunächst wurden Tomaten und Gurken als Überträger des Darmkeims vermutet. Das Gesundheitsamt warnte vor dem Verzehr.
Es dauerte dreieinhalb Jahre, um Umsätze wie vor der Epidemie zu erzielen
Am 5. Juni 2011 geriet schließlich ein Sprossenbetrieb in Bienenbüttel unter EHEC-Verdacht: Die Behörden hatten Bockshornkleesamen, die aus Ägypten nach Deutschland importiert wurden, als Quelle des Erregers ausfindig gemacht.
Doch da war der Ruf der Branche bereits ruiniert. Auch der Firma Deiters & Florin in Curslack, Deutschlands größter Sprossenproduzent, brachen die Umsätze weg. EHEC bescherte dem Unternehmen eine existenzbedrohende Krise. Es brauchte mehr als dreieinhalb Jahre, um wieder den Umsatz zu erzielen wie vor der Epidemie.
Keine Beweise, dass andere Sprossenbetriebe betroffen waren
Die Firma hatte deshalb im Frühjahr 2012 das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Braunschweig auf Schadenersatz in Höhe von einer Million Euro verklagt. Die Klage wurde abgewiesen.
Dabei habe es keinerlei belastbare Beweise gegeben, dass irgendein anderer Sprossenbetrieb als der in Bienenbüttel betroffen war, betonte der damalige Mitinhaber und Geschäftsführer Norbert Deiters (†) im Januar 2015 gegenüber unserer Zeitung. Damals hatte die Firmenführung beschlossen, nicht vor das Oberlandesgericht zu ziehen. Das finanzielle Risiko war Deiters und seinem Geschäftspartner Ulrich Florin zu groß.
Salatgurken im großen Stil auf 8500 Quadratmetern Gewächshausfläche
Auch Susanne und Olaf Neumann aus Spadenland hätte EHEC fast in den Ruin getrieben. Das Ehepaar hatte sich auf Salatgurken spezialisiert. Die Neumanns bauten das Gemüse aus der Familie der Kürbisgewächse am Dorferbogen im großen Stil auf 8500 Quadratmetern Gewächshausfläche an. „Wir hatten gerade mehrere Zehntausend Euro in Bewässerungsanlagen und andere Hilfsmittel gesteckt“, erinnert sich Olaf Neumann, „denn wir waren sehr gut im Geschäft.“
Er erinnere sich noch genau, wie er in den Fernsehnachrichten erstmals von der EHEC-Krise erfahren hatte: „Da wurde vor Gurken, Tomaten und Salat gewarnt. Am nächsten Tag haben wir nur noch die Hälfte verkauft und am Tag darauf nichts mehr.“ Drei Wochen lang, bis zur Aufklärung der Ursache für die Epidemie, verzichteten die Kunden der Neumanns – der Großhandel und Wochenmarktbeschicker – auf Gurken. „Wir konnten es ihnen nicht verübeln, denn sie haben ja selbst nichts verkauft“, sagt der Gärtnermeister.
Mehr als 22 Tonnen Gurken landeten auf dem Kompost
Besonders weh habe es getan, trotzdem ernten zu müssen – für den Kompost. „Wir konnten die Gurken nicht einfach unterfräsen, wie es bei Salat damals gemacht worden ist“, sagt der 56-Jährige. „Wir mussten die Gurken ernten, um die Pflanzen zu entlasten. In dem Wissen zu arbeiten, dass das Gemüse auf dem Müll landet, war eine schlimme Erfahrung.“
Mehr als 22 Tonnen mussten die Eheleute wegwerfen. „Dadurch sind uns rund 25.000 Euro durch die Lappen gegangen.“ Dies sei allerdings nur die Spitze des Eisbergs gewesen: „Alles in allem hat und EHEC etwa 160.000 Euro gekostet.“ Noch ein Jahr nach der Krise habe er – ebenso wie die anderen Gärtner auch – weniger Geld für sein Gemüse bekommen, berichtet Neumann. „Mindestens einen Euro weniger pro Kiste.“
Nach der Entwarnung alle Gurken binnen zwei Stunden verkauft
Noch heute kann er die damalige Vorgehensweise der Behörden nicht verstehen: „Alle Gemüsegärtner haben Proben von ihrem Gemüse und von dem Wasser für die Pflanzen beim Verbraucherschutzamt eingereicht. Alle waren in Ordnung.“ Als nach drei Wochen dann die Entwarnung kam, sei die bis zu drei Tage alte, im Kühlraum gelagerte Ernte innerhalb von zwei Stunden ausverkauft gewesen.
Überlebt habe das Unternehmen aufgrund seiner Rücklagen, und weil die Neumanns einen Kredit aufnahmen. „Mit Mitte 40 haben wir neu angefangen“, sagt der Gärtnermeister. Schlimm sei auch gewesen, nicht zu wissen, wie lange die Krise anhält. „Es war ja nicht abzusehen, dass die Quelle des Erregers nach einigen Wochen gefunden wird. Wir hatten große Sorge, dass wir irgendwann vor dem Nichts stehen.“
„Es war ein Fehler, die Stadt Hamburg nicht zu verklagen“
Von der Europäischen Union habe es damals 2500 Euro und von der Stadt Hamburg 6500 Euro gegeben, „also quasi nichts, gemessen an unserem erlittenen Schaden“. Es sei ein Fehler gewesen, die Stadt damals nicht zu verklagen. „Das würde ich heute anders machen.“
Nach den dramatischen Erfahrungen von vor zehn Jahren stellten Susanne und Olaf Neumann ihren Betrieb neu auf. Sie verkaufen seitdem verschiedene Gemüsekulturen, „um nicht mehr von einer abhängig zu sein“, sagt der 56-Jährige.