Hamburg. Opposition fühlt sich bei „Machtdemonstration“ der Koalition in Rechten beschnitten. Geschäftsordnung geändert, Mehrheit am Hebel.
Wie können sich kleine Oppositionsfraktionen in der Bergedorfer Bezirksversammlung noch Gehör verschaffen? Um demokratische Mitwirkungsrechte entwickelte sich im jüngsten Hauptausschuss eine langwierige Diskussion, die jeden Jura-Studenten vor seinem zweiten Staatsexamen beflügelt hätte.
Die Mehrheitskoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte eine Änderung der Geschäftsordnung der Bezirksversammlung vorgeschlagen – drei Tage vor der Sitzung. Es geht darum, ob in den Fachausschüssen auch kurzfristig Anträge auf die Tagesordnung genommen werden dürfen.
Änderung der Geschäftsordnung über Antragsfristen sorgt für Streit
Vorausgegangenen war eine Sitzung des Regionalausschusses für die Vier- und Marschlande, bei der die Verwaltung einen spontanen Antrag der CDU aus formellen Gründen nicht zugelassen hatte. Ein Fehler, wie das Rathaus im Nachhinein bekennen musste. Dieses Missverständnis nahm die Koalition nun zum Anlass, das Selbstbefassungsrecht der Fachausschüsse neu zu interpretieren.
Ein neuer Punkt 8 in der Geschäftsordnung sieht vor, dass alle Anträge zunächst im Hauptausschuss der Bezirksversammlung angemeldet werden und den Mitgliedern des betroffenen Fachausschusses mindestens sieben Tage vor ihrer Sitzung vorliegen müssen. Nur im Einzelfall und bei „begründeter terminlicher Dringlichkeit“ könne die Mehrheit beschließen, dass der kurzfristige Antrag doch auf der Tagesordnung landen darf.
Die Linke kritisiert: „Das beschneidet die Minderheitenrechte“
Dass eine Mehrheit überhaupt über einen Diskussionsbedarf bestimmen darf, bringt naturgemäß die Opposition auf Zinne: „Ich appelliere an Ihren politischen Anstand, das beschneidet die Minderheitenrechte“, kritisiert Lutz Jobs (Die Linke). Man sei mit dem traditionellen Verfahren sehr gut klargekommen. Wenn hier jetzt Regelbedarf bestehe, „hätte wenigstens der Ausschuss zur Geschäftsordnung einberufen werden müssen“.
Auch Jurist André Wegner (CDU) hält diese Idee für ein „absolutes No-Go“: Da solle eine Einschränkung von Minderheitenrechten „durch die Koalition durchgedrückt werden“.
Verwaltungsdezernent befragte Rechtsamt und Bezirksaufsicht
Die Grünen sehen das offenbar sehr gelassen: „Dass eine Mehrheit über die Tagesordnung beschließt, ist doch keine Verletzung der Minderheitenrechte“, meint Lenka Brodbeck und steht damit dem Juristen Heinz Jarchow (SPD) zur Seite, dessen Erläuterungen zum Selbstbefassungsrecht zumindest „rechtskonform“ seien, wie Verwaltungsdezernent Ulf von Krenski bestätigt: „Wir haben nicht nur das Rechtsamt, sondern auch die Bezirksaufsicht um eine Expertise gebeten.“
Eine ähnliche Entscheidung der Mehrheit ist folglich auch erlaubt, wenn es um die Einberufung von Sondersitzungen geht. Ein neuer Punkt 9 in der Geschäftsordnung besagt, dass entweder der Ausschuss einen solchen Beschluss fasst oder eine Fraktion die gewünschte Sondersitzung schriftlich in der BV beantragen und begründen muss.
Koalition beschließt neue Geschäftsordnung gegen die Opposition mit 8:7-Stimmen
André Wegner (CDU) ist sauer: „Bislang brauchen wir keine Mehrheit, da können drei Mitglieder eine Sondersitzung beantragen.“ Ernst Heilmann (Die Linke) spricht von einer „Verschlimmbösung“, denn „hier sollen Minderheitsmöglichkeiten durch ein Mehrheitsvotum penetriert werden“.
Als stünde es im Lehrbuch der Debattenkultur beantragte Katja Kramer (SPD) an dieser Stelle das Ende der Rednerliste. Es folgte prompt ein Gegenantrag von Michael Mirbach (Linke), der – wie inzwischen üblich – mit acht zu sieben Stimmen abgeschmettert wurde. „Es scheint nicht um Argumente zu gehen, es ist nur eine Macht- und Mehrheitsdemonstration“, urteilte Fraktionskollege Lutz Jobs kopfschüttelnd: „Der SPD fehlt eine Minderheitserfahrung in Bergedorf.“
Gegen die Stimmen von Linken, CDU und AfD wurde die Änderung der Geschäftsordnung letztlich beschlossen – wieder mit acht zu sieben Stimmen.