Bergedorf. In Bergedorf-West leben viele Russen. Über den Ukraine-Konflikt sind sie gut informiert – und begründen ihr Schweigen.
Frei seine Meinung zu äußern, während Wladimir Putin die Ukraine massiv bedroht – davor herrscht bei Bergedorfs Russlanddeutschen eine große Angst. Im Einkaufszentrum Bergedorf-West am Friedrich-Frank-Bogen haben am Mittwoch viele Menschen Gesprächsbedarf. Mit seinem Namen in der Zeitung erscheinen möchte jedoch niemand. „Das Risiko ist zu hoch“, sagt ein Passant in dem russisch geprägten Einkaufszentrum. Egal ob für oder gegen Putin, das löse immer Konflikte aus.
Selbst die Ladenbetreiber halten sich zurück. Auch der Geschäftsführer des Mix-Marktes ist vor dem Gespräch mit unserer Zeitung von der Unternehmenszentrale gewarnt worden: „Bloß nichts sagen!“ Freie Meinungsäußerung stellt offenbar einen zu großen Schaden für die russisch geprägte Supermarkt-Kette dar, die 170 Filialen in Deutschland betreibt. Auch ein Interview mit dem NDR wurde abgelehnt, sagt der Marktchef. 90 Prozent der Kunden des Supermarktes seien Menschen mit russischem Hintergrund.
Viele Russen in Deutschland sind gut über die Situation informiert
Ein anderer Ladenbesitzer aus dem Einkaufszentrum legt ebenfalls Wert darauf, nicht namentlich genannt zu werden. Nach seinen Worten würden Russen und Ukrainer in Deutschland das Thema „entweder totschweigen oder in einer Diskussion eskalieren lassen“. Sagte er seine Meinung zur Ukraine-Krise, hätte er große Angst vor dem Verlust von Umsatz und Geschäftsbeziehungen. Trotzdem spricht er mit uns über das Thema.
Es wird deutlich: Er ist auffällig gut über die politische Lage informiert – vom Minsker Abkommen bis zum Besuch Annalena Baerbocks in der Ukraine. „Viele Russlanddeutsche und Ukrainer verfolgen genau, wie sich die Situation entwickelt. Schon seit dem Beginn der Ukraine-Krise mit der Besetzung der Krim in 2014.“
Wer sich äußerte, würde angefeindet – so oder so
Zeigte er nun Verständnis für Putins Sorge vor einer Erweiterung der Nato um die Ukraine, griffe man ihn als „Putin-Unterstützer“ an. Andersherum befürchtet er, dass er als „radikaler Zerstörer Russlands“ abgestempelt würde, wenn er die Politik des russischen Präsidenten als zu aggressiv beurteilte.
Angesprochen auf die Wirkung der Sanktionen von Deutschland, der EU und den USA, sagt der Ladenbesitzer achselzuckend: „Die Energiepreise explodieren gerade – ob Deutscher oder Russe, wir alle werden für die Vorfälle in der Ukraine draufzahlen müssen. Das kann nicht im Interesse der Menschen sein.“
Anerkennung der Separatistengebiete sei „Versuch, Frieden zu schließen“
Abseits des Supermarktes sind manche Menschen offener: Bis vor 26 Jahren hat die Bergedorferin Eleonora Sauerwein in Russland gelebt – und ist dort aufgewachsen. Dass es in dem Konflikt wirklich zu einem Krieg kommen könnte, bezweifelt sie. „Ich denke nicht, dass Putin Eskalation möchte.“ Dass der russische Präsident die Separatistengebiete in der Ukraine nun als unabhängig erklärt hat, sehe sie als Versuch, Frieden zu schließen. Diese Ansicht entspricht Putins Argumentation, die in die Ukraine entsandten Truppen seien auf „Friedensmission“.
Hubert Baumeister, Sprecher des Folklorechors Russische Birke, hat selbst keine russischen Wurzeln – kennt aus seinem Umfeld aber viele Menschen mit direktem Bezug. „Ich weiß, dass sich einige Leute, die in Russland geboren sind, über russische Medien informieren“, so Baumeister. „Die können sich der russischen Propaganda dann nicht mehr entziehen.“
In Angst um die Familie in Russland
Auch Gottlieb Krune (86), Gründer des Hamburger Vereins der Deutschen aus Russland, hat eine Meinung: „Alle Politiker, egal in welchem Land, lügen nur noch.“ Dabei sollten sie gut miteinander umgehen. „Meine Tochter, meine Enkel und meine Urenkel leben in Russland. Ich habe Angst.“
Oxana Li ist heute Vorsitzende des Vereins: „Es ist beschämend, was passiert“, sagt die 49-jährige Harburgerin. „Russland und die Ukraine sind einander als Brüdervölker sehr verbunden. Die Menschen wollen keinen Krieg.“ Jedenfalls könne Wladimir Putin keine breite Unterstützung aus der Bevölkerung erwarten, „aber das ist ihm egal“. Es seien höchstens die über 60-Jährigen, die noch mit Nostalgie an die Sowjetunion ihrer Kindheit denken, so Li: „Jetzt schütteln alle nur den Kopf über Putins Politik, da breitet sich keine patriotische Stimmung aus wie noch 2014 mit der Krim-Annexion.“
Sie traue ihm zu, noch mehr Gebiete einnehmen zu wollen“, sagt Oxana Li. Ihre Mutter stammt aus der Ukraine, der Vater ist Deutschrusse. „Dass kasachische Volk hat schon Angst, weil er keine Gebietsgrenzen anerkennt. Ich könnte mir denken, dass er sich doch noch einen Zugang zur Krim schaffen will.“