Bergedorf. Energie-Campus: Direct Air Capture-Anlage wandelt Kohlendioxid in Methan – als Basis für Strom und Wärme.

Naturkatastrophen wie die verheerenden Überschwemmungen in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im vergangenen Monat mahnen eindringlich, dass die Welt mitten im Klimawandel steckt, der Übergang zur Klimakatastrophe sehr nah ist. Auch deswegen hat die Bundesregierung ihre Klimaziele, was den CO2-Ausstoß betrifft, nochmals nachgeschärft. Bis zum Jahr 2030 sollen 65 Prozent an klimaschädlichen Treibhausgasen verschwinden, bis 2045 gar 95 Prozent des Emissionsaufkommens vermindert werden. Bleiben noch fünf Prozentpunkte – und genau dafür hat das Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (CC4E), der Energie-Campus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) am Schleusengraben, seine „Direct Air Capture“-Anlage entwickelt.

Die Energiewende schaffen mit Strom, der aus eingefangener Luft erzeugt wird – so vereinfacht ausgedrückt könnte der klimaschonende Ansatz lauten. CC4E-Leiter Prof. Dr. Werner Beba vergleicht die Anforderungen mit der „letzten Meile beim Marathon“, die sehr schwierig zu bewältigen sei – auch bei der Energiewende. Dafür steht eine neue Anlage vom Kooperationspartner „Climeworks“ auf dem Dach des Innovationszentrums.

Eine weitere der wenigen Anlagen steht in Reykjavik auf Island

Was die kann: Sie filtert aus der Umgebungsluft Kohlendioxid heraus und integriert es in einen „Power-to-Gas“-Prozess. Kohlendioxid wird dabei gereinigt und zusammen mit Wasserstoff aus der Elektrolyse in einen Bioreaktor weitergeleitet, der dann die beiden Gase zu Methan umwandelt und Sauerstoff freisetzt. Im Blockheizkraftwerk des CC4E kann aus dem Methan dann Strom und Wärme erzeugt werden – und zwar immer dann, wenn die Stromproduktion aus Windkraft und Fotovoltaik zu gering ist. „Closed Carbon Loop“ nennt der Energiecampus sein Forschungsprojekt.

Dass es „Direct Air Capture“ nun in Bergedorf gibt, ist schon außergewöhnlich. Weltweit gibt es nur wenig mehr als ein Dutzend derartiger Anlagen wie beispielsweise auf Island nahe der Hauptstadt Reykjavik. Bei dem so betitelten „Orca-Projekt“, ebenfalls von „Climeworks“ errichtet, wird CO2 aus der Luft gefiltert und unterirdisch im Stein gespeichert.

Umweltsenator will Klimaziele noch ehrgeiziger verfolgen

Jene kleine klimatechnische Revolution wollten sich Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank sowie Umweltsenator Jens Kerstan (beide Grüne), mittlerweile Dauergäste am Schleusengraben, nicht entgehen lassen. Hausherr Beba freute sich über den Besuch der Hamburger Spitzenpolitiker und gab dennoch eine klare Ansage an die Politik: „Mich stört der kaum vorhandene Innovationswillen der Bundesregierung, ihre klimapolitische Verzagtheit.“ Der aus Bergedorf stammende Kerstan stieg darauf ein: „Deshalb wollen meine Behörde und ich vorschlagen, die Klimaziele noch ehrgeiziger zu verfolgen.“ Grundtenor aller Anwesenden: „Wir sind zu langsam.“

Keinesfalls solle „die letzte Meile“ der Emissionsverringerung auf die leichte Schulter genommen werden, mahnt der stellvertretender Leiter des CC4E, Prof. Dr. Hans Schäfers: „63 bis 65 Millionen Tonnen CO2-Restemissionen im Jahr bleiben trotzdem übrig. Das Problem ist erheblich, auch wenn wir bis dahin die größten Emissionsquellen aus Industrie, Landwirtschaft oder Energiewirtschaft abgestellt haben sollten.“ Zudem werde ein großer Faktor von der Bundesregierung nicht berücksichtigt: der Energiebedarf und die Treibhausemission des Individualverkehrs.