Hamburg. Das war 1846 revolutionär: In neuneinhalb Stunden von Hamburg nach Berlin. Doch die Bahntrasse sorgte für Dauerprotest.

Von einem so rasanten Fortschritt lässt sich heute nur noch träumen: Viermal schneller als zuvor reiste man von einem Tag auf den anderen von Bergedorf nach Berlin. Statt 41 Stunden mit der Postkutsche dauerte die Reise vom 15. Dezember 1846 an nur noch rund neuneinhalb Stunden. Und der Preis blieb gleich: 8 Taler – umgerechnet 150 Euro – waren fällig, egal ob für die Kutschfahrt oder die hochmoderne Eisenbahn, deren Dampfzüge es auf der 287 Kilometer lange Strecke mit ihren 20 Stationen auf einen Durchschnitt von stattlichen 30 km/h brachten.

Bergedorfs erster Bahnhof von 1846 an der Strecke Hamburg-Berlin.
Bergedorfs erster Bahnhof von 1846 an der Strecke Hamburg-Berlin. © Kultur- & Geschichtskonto r / Kultur- & Geschichtskontor | Unbekannt

175 Jahre ist das am Mittwoch nun her: Eine der ersten Fernstrecken Nordeuropas verband Preußens Hauptstadt Berlin und Hamburg als wichtigstem Hafen der vielen damals noch selbstständigen Kleinstaaten auf deutschem Territorium. Es war ein entscheidender Schritt für deren wirtschaftliches und politisches Zusammenwachsen, das 1871 zur Gründung des Deutschen Reiches führen sollte.

Mit der Eisenbahn von Bergedorf nach Berlin - in neuneinhalb Sunden

In Bergedorf sorgte die neue Bahntrasse dagegen für jahrelangen Dauerprotest, veränderte sie für das damals kaum 4000 Einwohner kleine Städtchen doch fast alles. Denn fortan war Bergedorf nicht mehr Ziel der schon 1842 eingeweihten Hamburg-Bergedorfer Eisenbahn, die es mit Endstation im „italienischen Viertel“ auf dem Frascatiplatz für Wochenend-Ausflügler aus Hamburg und als Luftkurort attraktiv gemacht hatte. Jetzt war Bergedorf bloß noch Durchgangsstation – und verlor anfangs sogar die tägliche Güterzugverbindung nach Hamburg, die für den Gemüse- und Blumenhandel so wichtig waren.

Der vielen noch bekannte zweite Bahnhof stand von 1937 bis 2011.
Der vielen noch bekannte zweite Bahnhof stand von 1937 bis 2011. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur & Geschichtskontor

Zudem zog der Bahnhof um: Statt auf dem Frascatiplatz wurde nun eine neue Station direkt an der damaligen Landesgrenze zum holsteinisch-dänischen Lohbrügge gebaut. „Nennt man das, wie der Staatsvertrag es besagt, sich an die Hamburg-Bergedorfer Bahn anschließen?“, wetterte Bergedorfs Ratmann Carl Schlebusch gegen die Entscheidung Preußens und Dänemarks, die Trasse über Schwarzenbek und Büchen zu bauen. Bergedorfs Stadtväter wollten die Verlängerung über Geesthacht und Lauenburg, um den Bahnhof nicht an den Stadtrand zu verlegen.

1300 Arbeiter an der Strecke beschäftigt, darunter „viel Gesindel“

Für Angst und Ärger sorgten auch die unzähligen Arbeiter, die aus ganz Europa als Tagelöhner an die Trasse zogen. Denn das gesamte Mammutprojekt wurde nach dem Baubeginn am 6. Mai 1844 innerhalb vor nur zweieinhalb Jahren realisiert. Im Oktober 1846 schrieb die Berliner Eisenbahndirektion davon, dass allein auf dem Abschnitt von Bergedorf bis Reinbek seit Baubeginn durchgängig etwa 1300 Arbeiter beschäftigt seien. Darunter befände sich „viel Gesindel“, was vermehrt zu Diebstählen und

An Bergedorfs Bahnhof halten heute fast keine Fernzüge mehr.
An Bergedorfs Bahnhof halten heute fast keine Fernzüge mehr. © imago/Christian Ohde | imago stock

Streitigkeiten führe.

Genau das kritisierten die Bergedorfer schon seit dem Baubeginn. Sie forderten sogar Militärschutz gegen die unzähligen Übergriffe der Arbeiter nach deren angeblich regelmäßigen Zechgelagen. Doch das wurde abgelehnt. Laut Eisenbahndirektion kam es zu größeren Versammlungen der Arbeiter nur sonntagvormittags beim Einkaufen oder sonntagnachmittags beim Lohnempfang. Erst im Oktober 1846, kurz vor Ende der Arbeiten, erhielten die Bergedorfer Ordnungshüter Unterstützung: Der Hamburger Senat schickte vier „tüchtige“ Polizeibeamte für die verbleibende Zeit des Eisenbahnbaus nach Bergedorf.

Nur eine einzige Eisenbahn je Richtung jeden Tag

Zum Start des Linie gab es dann einen ziemlich entspannten Fahrplan. Nach der eigentlichen Jungfernfahrt am 12. Dezember mit den Eisenbahndirektoren, den Investoren und wichtigen Honoratioren der beteiligten Staaten fuhr auf der eingleisigen Strecke ab 15. Dezember lediglich ein einziger durchgehender Zug je Richtung und Tag: Um 7 Uhr ab Hamburg und um 8.30 Uhr ab Berlin. Die Ankunft in Hamburg lag zwischen 17.15 und 17.30, die in Berlin etwa bei 16.15 Uhr.