Hamburg. Vor drei Jahren schmiss Oliver Zapel als Coach das Handtuch – mit den Nerven und der Energie am Ende. Aber kann er ganz ohne Fußball?
Der Autobahnabschnitt vom Kirchheimer Dreieck über Kassel nach Göttingen ist wegen seiner steilen Anstiege und Gefällstrecken eine Herausforderung für so manchen Autofahrer. Just auf diesem Teil der A7, im Volksmund „Kasseler Berge“ genannt, traf Fußball-Trainer Oliver Zapel am 16. Dezember 2019 nach seiner Entlassung bei der SG Sonnenhof Großaspach eine Entscheidung, die bis heute sein Berufsleben nachhaltig verändert hat.
„Während der Fahrt nach Hause ist uns bewusst geworden, wie groß der Druck war, der auf uns gelastet hat, und wie wenig Lebensfreude wir noch hatten. Uns ist klar geworden, dass wir dringend den Reset-Knopf drücken und uns eine Perspektive aufbauen müssen“, erklärt der in Brunstorf lebende Coach, der seitdem viele Angebote hatte, aber bis heute keine neue Anstellung angenommen hat.
Der Abschied vom Fußball-Drittligisten Aspach war „eine Erlösung“
Der 53-Jährige war an jenem Tag im Dezember beim damaligen Drittligisten aus Aspach beurlaubt worden und hatte danach „in Windeseile“ seine Koffer gepackt und sich mit Frau Mirka und Sohn Lennox auf den Heimweg gemacht. „Wir waren am Ende der Zeit nur noch angstgetrieben, den Job zu verlieren“, erzählt der frühere Kapitän des ASV Bergedorf 85.
Die Beurlaubung beim „Dorfklub“, wie sich der Provinzverein selbst nennt, sei dann „eine komplette Erlösung“ gewesen. Und das Zeichen, nicht mehr ausschließlich auf die Karte Fußball setzen zu wollen. Zapel gründete die in Bergedorf ansässige Video-Marketing-Agentur „Cheggl“, in der seine Frau Geschäftsführerin ist.
Vier Trainerstationen in dreieinhalb Jahren
Seine Karriere als Coach im bezahlten Fußball war bis zur Entlassung beim württembergischen „Dorfklub“ wie die Kasseler Berge: ein Auf- und Ab. Vier Trainerstationen in dreieinhalb Jahren schlugen für den 53-Jährigen vor seiner selbst gewählten Auszeit zu Buche. Den Einstieg ins Profigeschäft ermöglichte Zapel 2016 Aspach.
Der Drittligist verpflichtete ihn vom SV Eichede, den er gerade in die Regionalliga geführt hatte. In seiner ersten Saison kämpfte der frühere Offensivspieler mit dem Verein bis wenige Spieltage vor dem Saisonende sensationell um den Aufstieg. Es war das Produkt von knüppelharter Arbeit. „Ich bin morgens um 6 Uhr im Büro gewesen und dort um 24 Uhr von der Putzfrau rausgeschmissen worden“, erzählt Zapel.
Er habe sich in der Arbeit „verloren“, so der 53-Jährige. Doch nicht deshalb trennten sich Club und Trainer nach zwölf Monaten. „Ich war in meinen Forderungen, was die Perspektive angeht, überambitioniert“, gibt Zapel rückblickend zu.
Wunsch-Verein Jahn Regensburg entschied sich gegen ihn
Seine akribische und erfolgreiche Arbeit hatte sich jedoch herumgesprochen. „Es sind dann ein paar Türen aufgegangen. Meine Lieblingstür war Jahn Regensburg. Das Projekt fand ich total gut“, sagt der Coach. Er durfte beim damaligen Zweitliga-Aufsteiger sein Konzept vorstellen und war sich danach sicher, den Zuschlag zu bekommen.
„Leider wurde dann mit einer Stimme gegen mich entschieden. Da habe ich das erste Mal gemerkt, dass nicht immer alles nach Plan läuft“, erklärt Zapel, der voll auf die Karte Regensburg gesetzt und deswegen anderen Interessenten abgesagt hatte. „Da haben sich vielleicht Leute auf den Schlips getreten gefühlt“, vermutet der Coach und gibt schonungslos selbstkritisch zu: „Da hat der kleine unerfahrene Zapel wohl das eine oder andere Fettnäpfchen mitgenommen.“
Als U23-Trainer bei Werder Bremen wirft er nach acht Wochen hin
Der Brunstorfer, der seinen Fußballlehrer unter anderem mit dem heutigen Bayern-München-Coach Julian Nagelsmann und Ex-HSV-Trainer Daniel Thioune machte, musste allerdings nicht lange auf eine neue Anstellung warten. Im November 2017 verpflichtete ihn Werder Bremen als Coach der U23. Dort folgte er auf Florian Kohfeld, der gerade zum Coach des Bundesliga-Teams aufgestiegen war.
Glücklich wurde Zapel an der Weser nicht, weil ein zielgerichtetes Arbeiten mit der Mannschaft ob ständiger Spielerabstellungen fürs Training und die Spiele des Erstliga-Teams nur bedingt möglich war. „Da war ich eher Co-Trainer, als dass ich die komplette Verantwortung getragen habe, sozusagen Zuarbeiter in einem großen Bundesliga-Apparat“, erklärt der Übungsleiter, der Werder nach nur acht Partien wieder verließ.
Die Bremer U23 stieg am Saisonende aus der Dritten Liga ab – wie auch Fortuna Köln unter dem Trainer Oliver Zapel. Vier Spieltage vor Ultimo hatte ihn der Traditionsclub als „Feuerwehrmann“ geholt. Retten konnte der 53-Jährige die Südstädter nicht mehr. Und doch wuchs in kürzester Zeit eine ganz enge Verbindung zum Verein und seinen Fans. „Es war die schönste Zeit, so viel Warmherzigkeit habe ich noch nie erlebt. Dort hätte ich nie weggehen dürfen, das war meine Welt“, blickt Zapel wehmütig zurück.
Bei Fortuna Köln war es trotz des Abstiegs am schönsten
Stattdessen kehrte er nach Aspach zurück, obgleich sich die Voraussetzungen beim „Dorfklub“ nicht geändert hatten. „Es war blauäugig, wieder dorthin zu gehen“, gibt der frühere „Elstern“-Kapitän zu. In Aspach wurde er auf einem Abstiegsrang stehend entlassen, „obwohl wir bis dahin keine schlechte Saison gespielt hatten und auf Tuchfühlung zum rettenden Ufer waren“.
Nur einen Tag später wollte ihn Preußen Münster verpflichten. Aber Zapel sagte ab, er hatte keine Energie, um sich sofort einer neuen Aufgabe zu widmen: „Das Gespräch hat nicht einmal eine Minute gedauert.“
Gründung eines Unternehmens in Bergedorf
Es folgten die Rückkehr in die Heimat sowie die Gründung des eigenen Unternehmens, das viel Zeit und Herzblut in Anspruch nimmt. „Uns als Familie hat die Entscheidung gut getan“, sagt Zapel, der trotz nun fast zweijähriger Trainer-Auszeit regelmäßig Offerten erhält.
„Es ist schön, nicht vom Radar verschwunden zu sein“, erklärt er. Bei einem reizvollen Angebot würde er „mal mit meiner Frau sprechen“, aber für einen neuen Job im Fußball eben auch nicht alles stehen und liegen lassen.
Zapels großer Wunsch ist es, bei einem Club zu arbeiten, der seine Spieler auf einer datenbasierten Grundlage, bei der Algorithmen und Modellrechnungen die passenden Akteure für die passende Position aufzeigen, verpflichtet. Der englische Verein FC Brentford hat es mit diesem sogenannten Moneyball-Prinzip bis in die Premier League geschafft und ist das große Vorbild. „Hier im Norden gibt es drei, vier Clubs, die sich so etwas vorstellen können“, erzählt Zapel.
Will einen großen Club im Osten Hamburgs aufbauen
Dem 53-Jährigen schwebt auch die Gründung einer Fußball-Akademie vor. „Ich kann es nicht akzeptieren, dass hier im Hamburger Osten so ein Fußball-Vakuum entsteht. Unsere ganzen guten Talente hören auf oder schließen sich anderen Vereinen an.
Das Ziel wäre es, hier einen starken Gegenpol zu den beiden großen Clubs aufzubauen“, sagt Zapel. Es dürfte also nur noch eine Frage der Zeit sein, bis der Brunstorfer wieder auf der Fußballbühne auftaucht. Gut möglich, dass sein Comeback dann ähnlich aufregend werden wird wie eine Fahrt durch die „Kasseler Berge“.