Hamburg. „Hakikat“ läuft trotz Störfeuer in den Kinos, weil die Stiftung aus der Osterrade als Teilproduzent einsprang. Darum geht es.
„Hakikat“ ist Türkisch und heißt Wahrheit. Nichts anderem als dieser haben sich Regisseur Hakan Alak, Drehbuchautor Ali Dogan Sahin und ihre gesamte Filmcrew verpflichtet, als sie mit dem gleichnamigen Filmtitel den Konflikt aus dem 15. Jahrhundert zwischen Osmanen und armer, für die Freiheit kämpfender Landbevölkerung als Historiendrama inszenierten. Beinahe jedoch wäre „Hakikat“, dieser vielbeachtete Kinofilm, früh im Entstehungsprozess gescheitert. Wenn nicht unter anderem Bergedorfs Aleviten und die Boberger „Stiftung Alevitische Gemeinde“ finanziell geholfen hätten.
„Wir bekommen häufiger Hilfegesuche aus der Türkei“, sagt Bergedorfs Alevitenführer Alper Dogan, als er über die Kontaktaufnahme zum Filmteam spricht. Mal braucht eine Schule einen Beamer, mal ein Verein Sportgeräte – und die Filmemacher brauchten schlicht und ergreifend Geld. 30.000 Euro sollen aus Hamburgs Alevitischen Kulturzentren Bergedorf, Altona, Haak-Bir und Harburg geflossen sein, aus ganz Deutschland insgesamt 160.000 Euro.
Schon das Drehbuch habe der türkischen Regierung nicht gefallen
Das Historiendrama ist schon allein von der Entstehung ein echtes Drama. Vier Jahre Produktionszeit hat „Hakikat“ gebraucht. Von 2017 bis 2019 musste die Romanvorlage des Schriftstellers Nazim Hikmet in ein Drehbuch gegossen werden. Schon das gefiel der aktuellen Regierung um den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan offenbar nicht. Es sei schon fast traurige Tradition, so Alper Dogan, dass Darstellungen der Geschichte, die mit dem Weltbild der Regierenden nicht übereinstimmten, aufs Ärgste behindert und bekämpft werden. „Jetzt ist die türkische Bevölkerung zutiefst gespalten“, sagt Alper Dogan und macht dafür die „hetzerische Politik“ unter Erdogan verantwortlich.
Bagger machen Requisiten platt, Autor wurde zu Hause überfallen
Dogan berichtet von Blockaden und Einschüchterungen der Filmcrew, die zudem mit finanziell besseren Angeboten abgeworben werden sollte. Schon damals hatten sich die Produzenten Unterstützung erbeten – und fanden diese nicht nur in den Oppositionsparteien in der Türkei, sondern eben auch in der Alevitischen Gemeinde in ganz Europa. Am Ende haben 128 Organisationen per Crowdfunding das Filmprojekt gesponsert und somit rund 85 Prozent der Gesamtausgaben für den Spielfilm gestemmt – insgesamt 1,8 Millionen Euro.
Als all die Störmanöver die Filmemacher nicht aufhielten und 2019 mit den Dreharbeiten begonnen werden konnte, setzte das Regime andere Mittel ein. Geld hätten Regisseur Alak und Co weiterhin nicht erhalten. „Regierungskritische Musiker bekommen in der Türkei keine Konzertsäle. Und regierungskritische Filmemacher wie Hakan Alak bekommen eben keine Zuschüsse“, sagt Alper Dogan. Nichtsdestotrotz begann der Dreh ganz in der Nähe der Stadt Edirne. Ein Ort mit Geschichte, an dem die Hauptfigur Scheich Bedreddin einst als Unterstützer der Unterdrückten lebte und wirkte.
Kinofilm „Hakikat“ läuft in europäischen Kinos
Allerdings zog sich der Dreh ungewollt in die Länge, weil laut Alper Dogan „Leute aus der Unterwelt“ eingesetzt wurden. Bedeutet: Inkassofirmen schickten zwielichtige Geldeintreiber ans Set. „Forderungen wurden früher als vereinbart fällig, um die Filmemacher und ihr Werk unter Zwangsvollstreckung zu bringen. Zum Teil wollten sie auch bereits gedrehtes Filmmaterial als Sicherheit beschlagnahmen“, berichtet Alper Dogan.
Noch unglaublicher: Drehbuchautor Sahin wurde im eigenen Haus überfallen und bedroht. Bagger zerstörten zwischenzeitlich Requisiten und das Außenplateau am Hauptdrehort. Doch trotz drohendem Ruin der Filmproduzenten half letztlich das Engagement der Stiftung Alevitische Gemeinde mit Sitz an der Osterrade. Die Stiftung stieg im Juli 2021 als Teilproduzent von „Hakikat“ ein. Erst dadurch konnte der Streifen beendet und Rechnungen bezahlt werden.
Das Drama findet ein gutes Ende: Nun ist „Hakikat“ diesen Herbst in europäischen Kinos angelaufen und mit Lob überhäuft worden. Zurzeit ist der Film an ausgewählten Tagen sowohl im Harburger CinemaxX (Moorstraße 1) als auch im UCI Wandsbek (Friedrich-Ebert-Damm 134) als Original mit Untertiteln zu sehen.