Bergedorf. Der frühere Trainer der TSG Bergedorf hat sich bis in Europas Top-Liga empor gearbeitet, spielt dort mit Zalgiris Kaunas aus Litauen.
Wer kennt das nicht? Du sitzt ahnungslos zu Hause, da klingelt das Telefon, und der Verein deiner Träume ist dran. Sie wollen dich! Du hast zwei Tage Zeit, um alles zu verkaufen, was Du besitzt, um den halben Globus zu jetten und ein neues Leben anzufangen. Als Hoffnungsträger. Als Held. Als einer, den jeder auf der Straße erkennt. Klingt wie ein Märchen? Ist aber eine wahre Geschichte. Es ist die Geschichte des Basketball-Trainers Martin Schiller.
Trainer beim FC Bayern des Basketball in Litauen
„Ich hatte nicht viel Zeit zum Überlegen, was oft sehr gut ist, wenn man sich entscheiden muss. Und jetzt sitze ich hier“, erinnert sich der 39-Jährige lächelnd an den großen Moment im vergangenen Sommer. „Hier“, das ist die 300.000-Einwohner-Stadt Kaunas im Herzen Litauens, aus der Schiller für eine Veranstaltung des Hamburger Basketball-Verbandes digital zugeschaltet ist. Der gebürtige Österreicher, dessen Familie in den Norden zog, als er sechs Jahre alt war, hat seine Heimat nicht vergessen. „In meinem Herzen bin ich Hamburger“, sagt Schiller, der jahrelang für die TSG Bergedorf gespielt hat.
Der legendäre Anruf erreichte ihn damals im 8600 Kilometer entfernten Salt Lake City, wo Schiller Trainer eines Nachwuchs-Teams, der Salt Lake City Stars, war. Sein neuer Verein, Zalgiris Kaunas, ist so etwas wie der „FC Bayern“ des litauischen Basketballs: das meiste Geld, die besten Spieler und 15 Meistertitel in den vergangenen 20 Jahren. Bei Zalgiris sind sie das Siegen gewohnt. Selbst in Europa kann der Verein mit den absoluten Top-Clubs wie Real Madrid, FC Barcelona oder Alba Berlin mithalten, ist aktuell Tabellen-Elfter von Europas Elite-Liga, der EuroLeague.
Entscheidende Spiele gegen Alba Berlin und Bayern München
Am 30. März muss nun Alba Berlin in der Zalgiris-Arena von Kaunas antreten, zwei Tage später spielen die Litauer bei Bayern München. Es sind die entscheidenden Spiele auf dem Weg in die Playoffs, und Schiller weiß, dass das ganze Land zuschauen wird. „In Litauen ist Basketball Volkssport“, schwärmt er. „Das bringt Druck und extreme öffentliche Aufmerksamkeit. Es ist schon so, dass ich auf der Straße erkannt werde.“ Litauen ist die Nummer fünf der Welt, hat dreimal Olympia-Bronze gewonnen. Für Schiller ist das kein Wunder. „So wie bei uns jeder Fußball spielt, so spielt hier jeder Basketball“, führt er aus. „Es geht kein Talent verloren. In Litauen wird jedes Kind Basketball probieren.“
In Deutschland hingegen musste ihn einst schon der Zufall dazu bringen. „Das muss so mit zehn, elf Jahren gewesen sein“, erinnert sich der Familienvater. „Ich hatte einen Freund mit einem Boston-Celtics-Cap, und ich wusste nicht, was das war.“ Die Boston Celtics sind eines der Traditionsteams in der amerikanischen Profi-Liga NBA, der stärksten Liga der Welt.
Lieber Lehrer werden? Daraus wurde nichts
Bei der TSV Reinbek unternahm er seine ersten Versuche als Korbjäger, wechselte dann zur TSG Bergedorf, wo er zu einem Hamburger Auswahlspieler heranreifte. Der Traum, mit Basketball Geld zu verdienen, war geboren: „Mein Vater hätte mich lieber als Lehrer gesehen. Was Vernünftiges halt. Das hat er nicht bekommen.“ Nach dem Sportmanagement-Studium in Köln ging Schiller zurück zur TSG, war dort von 2005 bis 2007 hauptamtlicher Trainer, arbeitete danach als Co-Trainer beim WBC Wels in Österreich, den Artland Dragons in Quakenbrück und den MHP RIESEN Ludwigsburg. In dieser Zeit war er auch Assistenztrainer des deutschen Nationalteams. So entstand der Kontakt in die USA. 2017 kam das Angebot, als Head Coach – also als der verantwortliche Mann – nach Salt Lake City in die G-League zu gehen, das ist der Unterbau der NBA. Drei Jahre lang coachte er dort Talente, die vom Sprung in die NBA träumten. Dann kam der Anruf aus Kaunas.
Sein Aufstieg begann mit acht Niederlagen in Folge
Die G-League sieht er heute als eine prägende Zeit: „In den USA war ich in der tollen Situation, mit Salt Lake die ersten acht Spiele verlieren zu dürfen, ohne entlassen zu werden. Dadurch hatte ich die Chance, mich als Head Coach zu finden.“ In Litauen ist der Druck größer. Es bleibt oft nicht viel Zeit, um ein Team zu entwickeln. Doch Schiller hat sich ein dickes Fell zugelegt. „Der Fakt, dass ich kein Litauisch spreche, hilft mir extrem“, schmunzelt er, „weil ich so nicht lesen kann, was die Fans auf ihre Plakate schreiben und was die Zeitungen drucken.“
Wenn er an der Seitenlinie steht, ist die ganze Anspannung in seinem Gesicht abzulesen. Der sonst so lockere Schiller wirkt ernst, fokussiert, aufgeladen mit Testosteron, dominant und stolz. „Ich glaube nicht, dass ich da eine Rolle spiele“, sagt er. „Ich bin so, wie ich bin, an der Seitenlinie. Es ist wohl eine kulturelle Sache. In der G-League wurde ich kritisiert, dass ich zu laut, zu aggressiv sei. In Europa hingegen wäre ich wahrscheinlich noch der leiseste Trainer gewesen.“