Bergedorf. Schülervertretung holt Bundespräsidenten a.D. ans Hansa-Gymnasium in Bergedorf. Wie er das junge Publikum mit starken Themen erreicht.
Fragen über Fragen. „Das kriegen wir nie alles unter“, murmelt Aton, während er die letzten Zettel sortiert. Ein Luxusproblem. Nicht nur die Schülervertretung (SV), alle in der Aula des Hansa-Gymnasiums freuen sich über das große Interesse an Joachim Gauck. Im Vorfeld haben sich Schüler und Schülerinnen mit dem Leben und Wirken des Bundespräsidenten a. D. auseinandergesetzt und eine herzliche Einladung formuliert. „Das war ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte“, grinst Dr. Stefan Schulze.
Von der Überzeugungskraft der derzeitigen SV ist der Schulleiter des Hansa-Gymnasiums ebenso überzeugt wie sein Stellvertreter Lars Bodenstein. Nachdem zwei Schülerinnen der elften Klassenstufe die Veranstaltung mit einem Abriss über Gaucks politisches Leben eröffnet haben, erinnert sich Bodenstein an seine erste Begegnung mit Joachim Gauck.
Die erste Begegnung mit Joachim Gauck – atemberaubend
Mitte der 90er-Jahre war der Oberstufenschüler auf Klassenfahrt in Berlin. Die müden Reisenden besuchten die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Gauck und seine Aktenberge hätten Bodenstein damals bewusst gemacht, wie sich das vermeintlich Langweilige in menschliches Schicksal verwandelt und „einem den Atem rauben kann“.
Darum geht es Joachim Gauck auch heute. Der ausgebildete Pastor predigt nicht. Er spricht leidenschaftlich über Freiheit, erreicht die etwa 300 Zuhörerinnen und Zuhörer sofort. Gauck spricht über die Freiheit, die ihm in der DDR genommen wurde und wütend machte. Er spricht über die Freiheit, die junge Menschen in allen Gesellschaftsformen für sich einfordern müssen, über seine Sympathie für „Fridays for Future“ und sein Verständnis für viele Formen des Widerstands. Aber auch über einen sich wandelnden Freiheitsbegriff, der Menschen später im Leben prägt.
„Die Freiheit des Erwachsenen heißt Verantwortung“, bringt es Gauck auf den Punkt. Unter diesem Motto könne sich jeder für die Probleme seiner Zeit zuständig erklären. Ihn, so Gauck, habe das am Ende glücklicher gemacht als der vorherige Zustand, in dem er Freiheit nur für sich eingefordert habe. Die Freiheit des Erwachsenen sei anstrengend, aber erfüllend.
Bundespräsident a.D spornt sein junges Publikum an
Die Verve, mit der der 83-Jährige spricht, bestimmt auch das Gespräch zwischen ihm und zwei Mitgliedern der Schülervertretung. Gauck berichtet über das Leben in der DDR, über die Fallstricke der Politik und Diplomatie und er erklärt, wie sehr er sich freute, im Alter von 70 Jahren nochmal ganz neue Aufgaben anzupacken. „Oma und Opa sind also noch zu gebrauchen“, übersetzt er die Fähigkeit zu lebenslangem Lernen und Engagement.
Auch hier erreicht er mit dem Umkehrschluss seine junge Zuhörerschaft: „Man ahnt oft nicht, was in einem steckt. Unterschätzt euch nicht, testet die Grenzen aus“, spornt er sein Publikum an. Das erntet Beifall. Genauso beeindruckt Gaucks freundliche Absage an ein Spiel, das seine beiden Gesprächspartner gern noch gespielt hätte. Aber Daumen hoch oder runter für Personen, die ihm in seiner politischen Karriere begegnet sind, darauf lässt sich Gauck nicht ein. Politik ließe sich ohnehin nicht über Personen definieren, sagt er, der lieber miteinander als übereinander spricht.
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Das Fazit des Besuchs: Das Organisationsteam der SV einigt sich schnell: Joachim Gauck sei eine gute Mischung aus Politiker und Mensch. „Er hat auf Augenhöhe mit uns gesprochen, das war wirklich sehr inspirierend“, sagt Carolina. Und Aton ist nach wie vor beeindruckt, wie der Mann, der als Parteiloser das Amt des Bundespräsidenten bekleidet hat, über alle Grenzen hinweg bis heute die aktuelle Politik beobachtet und bewertet.
Der Inhalt seiner Antworten wird in den Klassen der Oberstufe sicher noch Thema sein. Einig sind sich die Schüler und Schülerinnen auch, dass so bald wie möglich die nächsten Einladungen rausgehen. An wen, ist noch nicht sicher. Aber es gibt genug Menschen, aus deren prallen Leben sich lernen lässt.