Hamburg. Anfangs waren sie Hausbesetzer, heute Träger des Kultur- & Geschichtskontors. Noch immer setzen sie sich für Stadtentwicklung ein.

Still und leise den Abriss alter Häuser vorbereiten – in Bergedorf geht sowas schon lange nicht mehr. Das bekommen etliche Investoren, Grundeigentümer und auch das Bezirksamt sowie der Hamburger Senat schon seit den 1980er-Jahren zu spüren. Denn immer wenn historische Bausubstanz gefährdet ist, wird das rechtzeitig öffentlich.

Hinter dieser Automatik steckt eine Truppe aufmüpfiger junger Leute, die mittlerweile etwas in die Jahre gekommen sind – aber immer noch kräftig Party machen können: Die Initiative zur Erhaltung historischer Bauten feiert am kommenden Freitag, 2. September, 40. Geburtstag – coronabedingt mit einem Jahr Verspätung. In der Kulturkneipe BeLaMi an der Holtenklinker Straße 26 werden alle ehemaligen sowie aktuellen Mitstreiter erwartet und teils auch auf der Bühne stehen.

Stadtentwicklung: Einsatz für alte Bauten

So wird „Big Tom“ alias Dr. Thomas Theissen den Blues spielen, wie er es in den späten 80er-Jahren im Lohbrügger Wasserturm tat. Klaus Cramer, einst Mitstreiter bei den Hausbesetzungen der Initiative, rockt mit seinen „Peccadillo Preachers“. Und Liedermacher Jochen Wiegandt tritt auf, der den Aufbau der Hamburger Geschichtswerkstätten gefördert hat, auch Bergedorfs Kultur- & Geschichtskontor.

„Bewachung“ der Specken-Häuser 1981 durch die Initiative.
„Bewachung“ der Specken-Häuser 1981 durch die Initiative. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Wasserturm, Hausbesetzungen und die Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit sind die wichtigsten Stationen der Initiative, seit sie sich 1981 um ihre bis heute aktiven Köpfe wie Dr. Geerd Dahms und Jörn Lindemann gründete. „Wir hatten damals die Nase gestrichen voll von den engen Drähten zwischen Bergedorfs Politik, dem Bezirksamt und seiner Abrisskultur sowie der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille“, erinnert sich Dahms, der etliche junge Leute um sich versammelte, die sich zuvor fast alle über Jahre in den Jugendorganisationen von FDP, SPD oder CDU engagiert hatten.

Erstes Projekt war die Besetzung der Specken-Häuser

Das schmissen sie hin, um sich einem ganz konkreten Projekt zu widmen: Der Erhaltung der Specken-Häuser, zweier gut 300 Jahre alter einfacher Arbeiterbehausungen, nur wenige Meter neben der Willers’schen Kate an der Fußgängerampel bei der Bushaltestelle Mohnhof. Sie sollten dem Erdboden gleich gemacht werden, um Platz für den Neubau der Verwaltung der Wohnungsbaugenossenschaft Bergedorf-Bille zu machen.

Kurz vor der Räumung der Specken-Häuser (l.) 1984: Geerd Dahms am Mikrofon vor den Beamten der Bereitschaftspolizei.
Kurz vor der Räumung der Specken-Häuser (l.) 1984: Geerd Dahms am Mikrofon vor den Beamten der Bereitschaftspolizei. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Die frisch gegründete Initiative begann zunächst damit, die Specken-Häuser zu „bewachen“. Als das das Bezirksamt nicht zum Einlenken brachte, wurden die Häuser 1982 besetzt. Zwei Jahre dauerte das, bis die Polizei in der Nacht vom 16. auf den 17. Juni 1984 mit zwei Hundertschaften anrückte und die etwa 25 Besatzer vor den Kameras etlicher Pressevertreter heraustrug.

Zweites Projekt: der Lohbrügger Wasserturm

Die jungen Leute hatten die zwei Jahre allerdings nicht nur zum Feiern genutzt, sondern beim Hamburger Denkmalrat durchgesetzt, dass die Specken-Häuser als erhaltenswert eingestuft wurden. „Eine Zeitenwende in Hamburgs Denkmalschutz“, erinnert sich Dahms. „Das erste Mal kamen Gebäude der Arbeiterschicht unter Schutz.“

Freude über die Rettung des Wasserturms: Jörn Lindemann (3. v. l.) neben Kultursenator Ingo von Münch und Geerd Dahms.
Freude über die Rettung des Wasserturms: Jörn Lindemann (3. v. l.) neben Kultursenator Ingo von Münch und Geerd Dahms. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Am Specken rückte zwar trotzdem der Abrissbagger an, doch die jungen Leute der Initiative starteten gleich ihr nächstes Projekt: die Rettung des Lohbrügger Wasserturms. Das Wahrzeichen des Stadtteils war bedroht, weil es schon seit 1972 nicht mehr von den Wasserwerken genutzt wurde und ins Eigentum der Hansestadt übergegangen war. Gepachtet hatte den Turm die Bavaria-Brauerei – und die bekam 1985 von der Initiative ein verlockendes Angebot: Die jungen Leute würden den Turm zur Kulturkneipe samt Freiluftbühne umbauen, wenn sie einen Mietvertrag bekommen.

Drittes Standbein war Kultur-& Geschichtskontor

„Das passte zwar der Bezirksamtsleiterin Christine Steinert gar nicht, aber die Bavaria war glücklich“, erinnert sich Jörn Lindemann, bis heute im Vorstand der Initiative. Während das Bezirksamt, wie eine spätere Akteneinsicht zeigte, alle juristischen Schritte prüfte, um den jungen Leuten den Turm zu entreißen, machten sie ihn zum beliebten Treff für den Stadtteil. Als Betreiber gründeten sie mit etlichen Lohbrügger Vereinen und Bürgern die Kulturgenossenschaft Wasserturm. Doch 1993 folgte der Rausschmiss, nachdem sich die Bavaria zurückgezogen hatte.

Bau der Freilichtbühne am Lohbrügger Wasserturm 1986.
Bau der Freilichtbühne am Lohbrügger Wasserturm 1986. © Kultur- & Geschichtskontor | Kultur- & Geschichtskontor

Doch da hatte die Initiative längst ihr neues Standbein: das Kultur- & Geschichtskontor. 1991 gegründet ist es bis heute aktiv und hat als drittgrößte Geschichtswerkstatt Hamburgs die jüngere Historie des Bezirks Bergedorfs im Visier. Den Kern bilden dabei – natürlich – die Auswüchse der Stadtplanung: Unter dem Deckmantel der Innovation schlug sie etwa die B 5 in den 50er-Jahren mitten durch die 300 Jahre alte Vorstadt oder schnitt Bergedorfs Hafen durch die zu niedrig über das Wasser gebaute B-5-Brücke vom Schiffsverkehr ab.

„Das setzt sich bis heute fort. Deshalb gibt es unsere Initiative auch noch immer“, sagt Geerd Dahms, der nun mit Sorge auf die für Anfang September angekündigte Präsentation der Neubauten auf den Flächen der zwei Bergedorfer Karstadt-Häuser schaut: „Wenn die vorgesehenen zwei Tage die ganze Bürgerbeteiligung sein sollen, ist echte Mitsprache wohl nicht gefragt.“