Bergedorf. Die Unterkunft am Curslacker Neuen Deich soll Ende März aufgegeben werden. Über die Gründe für die Schließung.
Mitten im anhaltenden Flüchtlingsstrom aus der Ukraine plant der Senat, die Unterkunft Curslacker Neuer Deich II vis-à-vis vom alten Verlagshaus unserer Zeitung zum 31. März zu schließen – obwohl sie aktuell voll besetzt ist.
2013 nur als Notlösung für die damalige Welle Flüchtender aus Syrien und Afrika als einfachstes Containerdorf errichtet, genießt sie neun Jahre später den zweifelhaften Ruf, Hamburgs marodeste Unterkunft zu sein: Die teils von kompletten Familien bewohnten Zimmer sind kaum mehr als 12 Quadratmeter groß, viele Sanitäranlagen defekt, ein WLAN-Empfang drinnen komplett unmöglich.
Damit die Arbeiten starten können, muss der Rückbau abgeschlossen sein
Wesentliche Reparaturen oder gar Umbauten und Nachrüstungen will der Senat nicht mehr vornehmen, wie er in seiner Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken in der Bürgerschaft ausführt: „Die Rückgabe der Fläche, auf der die Unterkunft steht, erfolgt vertragsgemäß zum 30. September 2023. Hier wird die Zufahrtsstraße zum langjährig vom Bezirksamt Bergedorf und der Hamburg Invest Entwicklungsgesellschaft geplanten Innovationspark entstehen.“ Damit diese Arbeiten dann gleich im Oktober starten können, müsse zuvor der Rückbau der Unterkunft bereits abgeschlossen sein.
Für Maria Westberg, Mitglied der Linken-Fraktion in Bergedorfs Bezirksversammlung, klingt das alles nach unrealistischer Theorie: „Ich halte es für völlig ausgeschlossen, dass im Jahr 2023 überhaupt irgendein Flüchtlingsdorf geschlossen werden kann. Dafür wird der Andrang aus der Ukraine viel zu groß bleiben.“
In den 60 Zimmern der Anlage sind aktuell 212 Personen untergebracht
Deshalb sieht sie es als unumgänglich, neben der für die kommenden Wochen nun tatsächlich angekündigten Reparatur der Sanitäranlagen auch die gesamte Unterkunft für Familien mit Kindern zumutbar umzubauen. „Es muss selbst in diesem Container-Konstrukt möglich sein, mit Trennwänden und baulichen Eingriffen für menschenwürdige Wohnverhältnisse zu sorgen.“
Wie die Lage hier heute ist, beschreibt der Senat ausführlich: In den 60 Zimmern der Anlage sind aktuell 212 Personen untergebracht, darunter 96 Männer, 48 Frauen und 68 Kinder. 116 von ihnen „leben in 39 unterschiedlich großen Familienverbünden, davon 29 Alleinerziehende“. Ukrainer seien nicht darunter, dafür aber Menschen aus insgesamt 36 verschiedenen afrikanischen, asiatischen und osteuropäischen Nationen. Durchschnittlich leben sie seit 2,6 Jahren in der Unterkunft, wobei die Spanne von wenigen Monaten bis zu 8,4 Jahren reicht.
Jedem Sträfling stehen mehr als 4,5 Quadratmeter Haftraum zur Verfügung
„Das sind untragbare Zustände“, sagt Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Dr. Carola Ensslen. Sie hatte die Anfrage an den Senat gestellt und in deren Einleitung einen Vergleich mit der Rechtslage außerhalb der Flüchtlingsunterkünfte gezogen. Demnach gelten Wohnverhältnisse in Deutschland als beengt, wenn zwei Personen nicht mindestens 35 Quadratmeter zur Verfügung stehen, plus zehn Quadratmeter je weiterer Person.
Und selbst im Gefängnis müsse jedem Sträfling laut Bundesverfassungsgericht mehr als 4,5 Quadratmeter Haftraum zur Verfügung stehen. „Aber in öffentlich-rechtlichen Unterkünften wie die am Curslacker Neuen Deich gilt dieser Maßstab leider nicht“, ergänzt Carola Ensslen.
Für Parteikollegin Maria Westberg ist klar: „Der Senat ist aufgefordert, die Lage hier umgehend und umfangreich zu verbessern, oder sofort allen Bewohnern konkrete Angebote zum Umzug in menschenwürdige Unterkünfte zu machen.“