Hamburg. Musiker und Erzieher arbeitet mit Jugendlichen im Pink Haus und zeigt, wie ein guter Song geht. Dabei lernen sie sogar noch Grammatik.
„Ich lass dich nie los, Baby“ – der erste Satz muss einfach richtig krass sein – „du bist meine laute Motivation“ – es muss sich halt nicht immer reimen, auch nicht bei diesem Liebeslied auf seinen Kopfhörern, den Air-Pods. „Aber cooler wäre es schon“, meint Milan Mamutovic, der bereits mehr als 60 Lieder geschrieben hat und berufsmäßig unbedingt Rapper werden will. Ein Anfang ist gemacht: Im Keller des Jugendzentrums Pink Haus, wo das Projekt „Lass 1000 Steine rollen“ Jugendliche von Drogen ablenken will, ihnen stattdessen professionell ausgerüstete Musikstudios bietet.
„Ich bin immer ehrlich und rappe meine Träume, Wünsche und Erlebnisse. Halt alles ganz locker, was so abgeht im Leben“, bekräftigt der 16-Jährige, der höchst selten sein Cap absetzt – außer in der Stadtteilschule Lohbrügge. Da wurde er gerade für seine Grammatik gelobt, denn erst 2016 kam er aus Serbien und lernte Deutsch. Verzweifelt, Psychopath oder auch Tut-mir-leid heißen seine Songtitel. „Und er hat sogar schon seine Abschiebungsandrohung vertont“, sagt Ilhan Altundag grinsend, sein Rap-Coach.
Rapper hat Video zum Bergedorf-West-Jubiläum gedreht
Der 45-Jährige ist in Bergedorf-West als Illy Idol bekannt – nicht erst, seitdem er mit gut 300 Statisten das Musikvideo zum 50-jährigen Bestehen seines Quartiers gedreht hat: Bankangestellte und Döner-Verkäufer, Apothekerinnen und Friseure, Schulkinder und Senioren tanzten fröhlich mit. Aber es geht auch ein bisschen abgedrehter, mit mehr Goldketten und fetten Autos: Vor wenigen Wochen kam „Power to the people“ auf den Spotify-Markt mit inzwischen gut 9000 Aufrufen und liebenswerten Kommentaren wie diesem: „Bro, ich bin stolz auf Dich. Bomben-Track. Wir leben in schlimmen Zeiten, es ist gut, so was zu hören. Nur Liebe für dich, Bruder“.
Dass der Vater zweier Kinder (zwei und zehn Jahre alt) inzwischen in Wentorf wohnt und als Erzieher in der dortigen Grundschule arbeitet, interessiert die coolen Kids aus Bergedorf-West nicht. Bloß Holger Hiller aus dem Jugendzentrum am Oberen Landweg weiß von den wahren Talenten seiner Honorarkraft: „Illy spricht die Jugendlichen genau richtig an und macht ihnen Mut.“ Außerdem sei Hip-Hop nun mal „die vielleicht demokratischste Art von Musik“, denn die kann jeder, „auch Nichtprivilegierte, deren Eltern kaum 20 Euro pro Musikstunde bezahlen können“.
Rapper hilft kostenlos bei ersten musikalischen Gehversuchen
Kostenlos dürfen die elf bis 20 Jahre alten Solo-Künstler mittwoch- und donnerstagnachmittags zum Rap-Coach kommen, der in diesem Keller selbst seine ersten musikalischen Gehversuche machte: „Ich rappe seit 1991. Damals trat ich mit den Jungs vor 1500 Leuten in der Markthalle auf. Wir hatten bloß eine Kassette mit Instrumentals dabei“, erinnert Ilhan Altundag, der sich gesellschaftskritisch sieht, über Krieg und die Wegwerfgesellschaft singt: „Ich kann nachdenklich sein, aber auch laut pöbeln. Es ist halt eine freie Kunstform. Und es ist spannend, was Sprache alles machen kann.“
Schüchterne Sänger seien ebenso dabei wie Rampensäue mit maskulinem Prolo-Gehabe: „Unser Vertrauen ist der Schlüssel zur Seele. Und so schafft es eben auch das Kinderheim-Mädchen, über häusliche Gewalt zu singen oder von der Mama, die nie da war“, sagt Altundag – und lobt: „Die Kids beschäftigen sich mit Sprache, können Texte auswendig lernen und schreiben. Da kommt die Grammatik ganz allein durch die Hintertür.“
Milan Mamutovic jedenfalls hat seinen eigenen Style bald schon gefunden – und freut sich auf seinen ersten Auftritt im Viervierteltakt: Beim Bergedorfer Kindertag am 1. Juli wird er auf der Bühne stehen und zu fetten Beats rappen – natürlich hat er versprochen, eher die sanften Balladen auszuwählen und auf keinen Fall einen Mother-fucker-song zu singen: „Ich will mich nicht schämen, sondern einfach nur die Musik fühlen“, sagt der Kerl, der viel sensibler ist, als er bisweilen zugeben mag.