Bergedorf. Dan Rudolph aus Bergedorf ist einer von wenigen Tatortreinigern in Hamburg. Was der 33-Jährige an seinen Einsatzorten so sieht.
Es hatte auch immer etwas Heimeliges, wenn „Schotty“ an den nächsten Einsatzort brauste: Die Duft-Wunderbäume in seinem etwas siffigen Auto, der volle Aschenbecher und die am Rückspiegel baumelnde Hula-Hula-Tänzerin aus Plastik waren das wiederkehrende Intro der mehrfach ausgezeichneten NDR-Comedy-Reihe „Der Tatortreiniger“. Schauspieler Bjarne Mädel alias „Heiko Schotte“ hat einem Beruf, der sonst sehr im Verborgenen ausgeübt wird, ein Gesicht gegeben. Doch obwohl sich die Drehbuchautoren von Experten gut beraten ließen: So skurril oder gar lustig wie in der Serie ist der echte Alltag eines Tatortreinigers eher selten. Vielmehr ist es ein beinharter Knochenjob – und wer ihn ausübt, darf sich vor Leichenteilen, Blut, Exkrementen und oft auch bergeweise Müll nicht ekeln.
Kaum einer weiß das besser als Dan Rudolph: Der Neu-Bergedorfer ist seit 2018 mit seiner Firma Tatortreinigung365 einer von nur wenigen professionellen Tatortreinigern in Hamburg. Und ziemlich gut im Geschäft: „Zwei- bis dreimal die Woche“ ist er an Tatorten im Einsatz, erzählt er.
Der Tatortreiniger ist auf Umwegen zu seinem besonderen Beruf gekommen
Dabei ist der 33-Jährige, der am Lehfeld auch gerade ein Tattoostudio eröffnet hat, eher auf Umwegen zu dem Job gekommen. 2017 zog er aus Mecklenburg-Vorpommern nach Hamburg, gründete hier zunächst das Unternehmen Rudolph Umzüge. 2018 kam ElbAttack hinzu – eine Firma für Entrümpelung und Haushaltsauflösung. Dann war der Schritt zur Schädlingsbekämpfung und auch zur Tatortreinigung nicht mehr weit: Denn viele Menschen sterben einsam in ihrer Wohnung, oft umgeben von Verwahrlosung. „Mit dem, was man vorfindet, muss man umgehen können“, sagt auch Dan Rudolph. Und längst nicht jeder kann das.
Schon die Schulung zum Tatortreiniger sei „nichts für schwache Nerven gewesen“, erinnert sich der Bergedorfer an sein Seminar im Jahr 2018. Zur Veranschaulichung landeten einige ziemlich übel riechende Dinge auf dem Tisch. Es ging um praktische Fragen und um pure Biochemie: Was tun, wenn der Tote so lange lag, dass Teppich oder Parkett mit Leichenflüssigkeit vollgesogen sind? Was tun gegen die giftige, stinkende Luft im Raum – oder gegen wimmelnde Schädlinge? „18 von 20 Teilnehmer der Schulung haben sofort aufgegeben“, sagt Dan Rudolph. Der 19. Teilnehmer musste kurz danach passen. Nur Dan Rudolph blieb, machte unter anderem den Hygieneschein und den „Großen Desinfektor“.
Der Tatortreiniger hat einen Berg Arbeit vor sich – einen Berg Müll
Wenn Dan Rudolph dann anrückt, liegt meist im wahrsten Wortsinne ein Berg Arbeit vor ihm. „Alle denken immer, dass unsere Arbeit mit Mord und Totschlag zu tun hat – aber oft sind die Menschen eines natürlichen Todes gestorben“, sagt er. Nur eben einsam und allein, sodass der Tod lange nicht auffiel.
Das Ergebnis lässt sich auf vielen Fotos betrachten, die Dan Rudolph zur Dokumentation macht. Oft sind darauf zugemüllte Räume zu sehen, völlig verdreckte Bäder – oder, wie in einem Fall, auch ein riesiger Berg aus leeren Sangria-Tetra-Paks im Wohnzimmer. „Der Bewohner ist hier mitten in diesen Sangriakartons gestorben“, erzählt Dan Rudolph.
An Tatorte schwerer Verbrechen wird der Geschäftsmann zwar auch gerufen: Darüber spricht er aber aus Verschwiegenheitsgründen nicht. Er verrät nur so viel: „Es passieren schon einige schlimme Dinge, von denen die Öffentlichkeit niemals erfährt.“
Der Tatortreiniger beginnt erst, wenn die Leiche weg ist
Seine Arbeit beginnt stets, wenn die Leiche abtransportiert und der Tatort freigegeben wurde. Übrigens niemals vorher – egal wie sehr der Vermieter drängelt: „Die Polizei muss das bescheinigen“, betont der 33-Jährige. Erst dann zieht der Bergedorfer seinen „Gladiatoranzug“ an, wie er den Ganzkörperschutz nennt, und legt los. In der Wohnung geht es zunächst mit einer Flächendesinfektion los, „alles wird eingesprüht.“ Zudem wird ein Ozongerät eingesetzt, das binnen 24 oder auch 48 Stunden die schlechte Luft aus dem Raum zieht. Der zweite Schritt ist das Aufräumen oder Entrümpeln.
Oft ist es längst nicht damit getan, ein bisschen Müll rauszutragen. Müllberge treffen es eher. Und wenn ein Toter zehn Wochen bei laufender Heizung in seiner Wohnung gelegen hat, findet sich beim Aufräumen auch schon mal einen Finger oder ein Auge, berichtet Dan Rudolph. Das wird gesondert entsorgt. Vor allem aber ist der Leichensaft ein Problem: Da der Mensch zu einem Großteil aus Wasser besteht, zieht dieser Leichensaft oft so tief in Teppich, Parkett oder auch Wände ein, dass ganze Gebäudeteile aufgemeißelt oder aufgebrochen werden müssen. Dann müssen Architekten oder Statiker anrücken, ehe es weitergehen kann.
Nach der Reinigung wird die Wohnung auf Wunsch auch renoviert
Erst wenn die Wohnung komplett geleert und entrümpelt wurde, beginnt die eigentliche Grundreinigung. Bis in alle Ecken wird dann desinfiziert und sauber gemacht. Grundlegende Kenntnisse der richtigen Reinigungsmittel sind unerlässlich – denn oft sind diese sehr giftig und erfordern einen geschulten Umgang. Nach der Reinigung wird die Wohnung auf Wunsch auch noch renoviert oder wieder hergerichtet. Dafür arbeitet Dan Rudolph mit anderen Firmen zusammen.
Wie aber kann ein Mensch das bloß wegstecken, zwei- bis dreimal in der Woche das größte menschliche Elend zu sehen? Dan Rudolph sagt, er könne die Umgebung ganz gut ausschalten. „Ich gehe da mit meinem Gladiatoranzug rein – und wenn ich ihn danach ausziehe, lege ich auch alles andere ab und freue mich auf meine heiße Dusche“, erzählt er.
Doch er räumt ein: Wenn Kinder oder auch Tiere betroffen seien, „dann ist das das Allerschlimmste“. Aber einer muss den Job ja machen. Und so fährt Dan Rudolph wieder raus, wenn sein Telefon das nächste Mal klingelt.