Bergedorf. Prof. Werner Beba vom Energie-Campus steuert die Norddeutsche Energiewende. Auf welche Technologien er setzt.
Über Deutschlands Chancen zur Unabhängigkeit von Putins Erdgas wird ganz maßgeblich in Bergedorf entschieden: Seit 2008 schon erforscht das mittlerweile 80 Mitarbeiter große Team um Prof. Dr. Werner Beba im Energie-Campus am Schleusengraben die Umstellung auf erneuerbare Energien. Längst laufen in diesem „Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz“ (CC4E) alle Fäden der norddeutschen Energiewende zusammen.
Seit April 2021 ist das ganz konkret: Beba und sein Team haben den Auftrag, bis 2026 Großanlagen mit grüner Energie aufzubauen – sie sind der Kopf des Norddeutschen Reallabors, eines Verbundes mit 50 Partnern aus Wirtschaft und öffentlichen Betrieben. Projektiert ist die Selbstversorgung etwa der Kupferhütte Aurubis, von Teilen des Hamburger Hafens, des Flughafens und nicht zuletzt auch der Linienbusse auf Bergedorfs VHH-Betriebshof mit Energie aus grünem Wasserstoff. „Grün“ bedeutet dabei, dass Strom aus Wind- und Solarenergie genutzt wird, um Wasser aufzuspalten. Der so gewonnene Wasserstoff fungiert dann als Speicher, der seine Energie bei Bedarf wieder freisetzt – egal ob als Wärme oder als Strom.
Energiewende: Viele Großanlagen mit grüner Energie erst im Genehmigungsverfahren
„Die aktuelle politische Lage beschleunigt unsere Arbeit natürlich. Es gibt die spürbare Bereitschaft, mehr Geld in Transformationsprojekte wie unsere zu geben“, sagt Werner Beba. „Aber wir müssen ehrlich sein: Wir sind in vielen Dingen noch nicht so weit, dass wir heute direkt auf erneuerbare Energien umstellen könnten. Wir könnten den Prozess aber massiv beschleunigen, um bis 2030 zumindest im Stromsektor 100 Prozent fossilfrei zu sein. Mobilität und Wärme werden länger dauern.“
Tatsächlich befinden sich die Großanlagen bisher erst in den Genehmigungsverfahren. Doch Beba ist optimistisch: „Sie werden ab 2024 in Betrieb gehen.“ Das wird der entscheidende Schritt sein, von den bisherigen Laborprojekten im CC4E hinaus in die Wirklichkeit zu kommen und die Prototypen so schnell wie möglich zur Serientauglichkeit zu bringen.
Energiewende: „Wir sind auf einer Entdeckungsreise“
„Wir sind auf einer Entdeckerreise“, beschreibt Beba den heutigen Stand der Forschung. „Neben den Industrie-Projekten geht es auch darum, wie die Erfahrung daraus für die Versorgung der Bevölkerung mit Wärme genutzt und wie das alles auf das Thema Verkehr übertragen werden kann.“ Das Norddeutsche Reallabor laufe zwar bis März 2026, „aber wir werden Zwischenergebnisse regelmäßig veröffentlichen und den politisch Verantwortlichen darlegen, damit alles schnell massentauglich wird.“
Werner Beba will die Ausweitung der Forschung allerdings nicht allein auf die Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Öl oder Kohle beschränkt sehen: „Beim Norddeutschen Reallabor geht es auch ganz maßgeblich darum, den Industriestandort Hamburg als Vorreiter für Klimaschutztechnologien zu sichern und auszubauen – im Sinne einer größtmöglichen Technologie-Souveränität Deutschlands. Denn wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen wie etwa bei der Fotovoltaik. Sie wird heute praktisch gar nicht mehr bei uns, sondern nur noch in Fernost hergestellt.“
Energiewende: Was der Ersatz für Putins Erdgas ist
Gemäß dieser Philosophie wird am Energie-Campus in Bergedorf nicht allein an Windkraft und grünem Wasserstoff geforscht. „Es geht bei uns auch um die Herstellung künstlichen Methans als Ersatz von Erdgas. Wir erproben, direkt der Luft entzogenes Kohlendioxid zu binden und zu verarbeiten.“ Auch das könnte – nach einigen Jahren Forschung – einen Teil zur massiven Reduzierung fossiler Energieträger beitragen. „Alles, was uns unabhängig von Erdgas & Co. macht, ist gut“, sagt Beba. Das gelte eigentlich gar nicht für die Abhängigkeit von Russland, sondern ganz grundsätzlich für die Erderwärmung.
Natürlich weiß Werner Beba, von Haus aus Soziologe, dass Klimaschutz dann am besten funktioniert, wenn die Menschen erfahren, wie sie selbst etwas tun können: „Am Energie-Campus planen wir zu 2024 ein Demonstrationszentrum. Da geht es etwa darum, die Herstellung grünen Wasserstoffs mittels Elektrolyse aus dem Strom unseres Windparks Curslack zu zeigen.“ Zudem werde der Wasserstoff zum Beispiel ins lokale Bergedorfer Erdgasnetz gemischt. Und er soll auch in die Mobilität eingebracht werden – als Wasserstoff-Tankstelle am Schleusengraben und in Form des Betriebs von Wasserstoff-Bussen bei den VHH.
Energiewende: Stromertrag von Windkraftanlagen steigern
Weitere Themen der Forscher im CC4E sind die Verbesserung des Stromertrages von Windkraftanlagen, zudem die intelligente, also bedarfsgerechte Steuerung der Erzeugung und natürlich auch des Verbrauchs von Strom und Wärme in den Netzen. Dabei ist für Beba bereits klar, dass große Kraftwerke der Vergangenheit angehören: „Die Energieversorgung der Zukunft sollte dezentral aufgebaut werden.“ Nur dann sei sie bedarfsgerecht steuerbar und habe letztlich deutlich weniger Verluste als auf den langen Transportwegen von heute.
Beim Blick auf Putins Spiel am Gashahn warnt Prof. Beba allerdings vor zu eiligen Boykott-Entscheidungen: „In den kommenden zwei bis drei Jahren wird es für Deutschland vor allem um das Thema Versorgungssicherheit gehen. Die gibt es leider nicht nicht per Knopfdruck. Aber die Energiewende ist auf dem Weg – nicht zuletzt auch dank der aktuellen Situation.“