Bergedorf. Russischsprachige Bergedorfer demonstrieren vorm Rathaus. Putins Einmarsch in die Ukraine macht sie wütend.
Das Handyfoto zeigt einen Mann und seine Tochter auf dem Rücksitz eines Autos. Müde lächelnd lehnt sich das junge Mädchen gegen den Vater. Die Familie, zu der auch noch eine Mutter gehört, ist aktuell auf dem Weg aus der Ukraine nach Hamburg – der 17-jährige Sohn ist zum Kämpfen in der ukrainischen Heimat zurückgeblieben.
Die Menschen auf dem Handyfoto sind Verwandte von Michael und Jasmin Larionow aus Bergedorf – und Schicksale wie das dieser Familie sind ein Grund dafür, dass das Ehepaar am Sonntag eine Spontan-Kundgebung gegen den Krieg in der Ukraine organisierte. Kurzerhand aktivierten sie russischsprachige Freunde, Verwandte und Bekannte, um im Bergedorfer Rathauspark mit einem selbst gemachten Plakat auf Englisch und Russisch zu fordern: „Lasst unsere ukrainischen Freunde in Frieden“. Etwa 35 russischsprachige Bergedorfer mitsamt ihren Kindern folgten spontan dem Aufruf. Dazu gab es Gespräche und heißen, schwarzen Tee aus der Thermoskanne.
Krieg gegen die Ukraine bewegt russischsprachige Bergedorfer
Eine bunte Gruppe traf sich hier: Bergedorfer mit Wurzeln in Kasachstan, Sibirien, der Ukraine oder aus anderen Teilen der ehemaligen Sowjetunion. „Uns geht es um zwei Dinge“, sagte Michael Larionow in einer kurzen Ansprache. „Wir wollen unsere Solidarität mit der Bevölkerung der Ukraine zeigen.“ Zweitens reiche Solidarität allein aber nicht mehr aus: „Wir müssen politischer werden und dürfen nicht mehr naiv mit Despoten wie Putin umgehen!“ Sonst bestehe die Gefahr, dass andere Länder folgen.
Die Idee für die kleine Kundgebung habe seine Frau gehabt, sagt Michael Larionow. Sie ist Bergedorferin. Er selbst wurde in Kasachstan geboren, wuchs aber in Deutschland auf: „Mein Vater ist Russe, meine Mutter Spätaussiedlerin mit deutschen Wurzeln.“ Der 32-Jährige spricht die Sprache seiner Vorfahren, gibt sie auch an seine beiden Kinder (ein und drei Jahre) weiter – und hat Verwandtschaft in vielen Teilen der einstigen Sowjetunion. Der Einmarsch Putins in die Ukraine habe ihn „aufgewühlt und wütend gemacht“, sagt der leitende Angestellte. Dass es in Europa einen Krieg gebe, der einseitig begonnen wurde, und dass Diplomatie so gar nicht fruchtete, „das macht mich fassungslos“.
Das russische Staatsfernsehen sei eine „Freak-Show“
Die Fassungslosigkeit teilen viele der Menschen, die an diesem sonnigen Sonntag in den Rathauspark gekommen sind. Und sie sind in großer Sorge. Denn „viele Menschen in Russland sehen die ganze Wahrheit nicht“, meint Tatjana Maier, die aus Kasachstan stammt. Viele Russen würden nur Staatsfernsehen verfolgen und Putins Propaganda einer „Friedensmission“ in der Ukraine glauben. Es fehle an Aufklärung und Widerstand. Dass das russische Staatsfernsehen „eine Freak-Show ist“, meint auch Michael Larionow. „Es gibt zwar in Russland durchaus die Möglichkeit, eine ausgewogene Berichterstattung zu verfolgen – aber eben nur, wenn man sich aktiv im Internet darum bemüht“. Die große Masse und vor allem Ältere würden das aber nicht tun.
Dasselbe Problem sieht Eduard Maier – ein gebürtiger Sibirer, der 1992 hierherkam – auch in Deutschland und in Bergedorf: „Ich schätze, dass die Stimmung unter den Russen so 50:50 ist.“ Er selbst traut Putin zu, ziemlich weit zu gehen: „Es kann schnell gehen, dann haben wir den dritten Weltkrieg.“ Die Sanktionen würden Putin so schnell nicht schrecken.
Foto der Demonstration soll bei Instagram geteilt werden
Und so bleibt die Möglichkeit, dem Despoten den geballten Widerstand entgegenzusetzen. Bei Instagram soll über den Account @aktion.ukrainischer.friede und den Hashtag #aktionukrainischerfriede das Foto der Friedensforderung möglichst oft geteilt werden.