Geesthacht/Hamburg. Die Grundimmunisierung ist laut Experten nicht mit zwei Impfungen abgeschlossen. Was Sie über die Booster-Impfung wissen müssen.
Kommunikationspannen in der Corona-Pandemie verunsichern die Menschen. So etwa die Hospitalisierung – über Landesgrenzen hinweg ist sie in Teilen nicht vergleichbar: Dabei soll die Quote der Corona-Patienten in den Krankenhäusern auf 100.000 Einwohner die entscheidende Grundlage für weitere Einschränkungen im Kampf gegen die Pandemie bilden. Noch ärgerlicher: Zum Impfschutz sind Zweifel an offiziellen Äußerungen gerechtfertigt.
Mit Verweis auf die gewachsene Impfquote hatten FDP-Parteichef Christian Lindner und weitere Politiker anderer Parteien gebetsmühlenartig wiederholt, mit der gewachsenen Zahl vollständig Geimpfter fehle es für eine Fortschreibung von Grundrechtseinschränkungen an Grundlagen.
Corona: Keine Sicherheit nach zweimaliger Impfung
Dumm nur, dass viele Deutsche die Diskussionen um einen „Freedom-Day“ im Sommer für bare Münze nahmen. Frühzeitige Warnungen von Virologen und Epidemiologen vor allzu großer Sorglosigkeit verhallten ungehört.
Wie auch vom Robert-Koch-Institut vorhergesagt folgt jetzt die Ernüchterung. Ein Grund: Wer sich nach zweimaliger Corona-Impfung für längere Zeit auf der sicheren Seite sah, lag grundlegend falsch. Eine neue Studie schwedischer Wissenschaftler belegt, dass der Schutz nach zweimaliger Impfung schnell wieder abnimmt.
Zahl der Impfdurchbrüche ist rückläufig
Wer zweimal mit Astra-Zeneca geimpft wurde, für den sei der Corona-Schutz schon nach fünf Monaten kaum mehr gegeben, so ein Ergebnis. Länger halte die Wirkung von Biontech an, nach sechs bis sieben Monaten habe die sich jedoch etwa halbiert. Besser schneidet in der Hinsicht Moderna ab. Am längsten geschützt sind Menschen, die Kreuzimpfungen erhalten haben, in Deutschland meist mit Astra-Zeneca und Biontech.
Die hohe Zahl an Impfdurchbrüchen ist eine Folge. Im Kreis Herzogtum Lauenburg lag sie im vergangenen Monat bei gut einem Drittel aller Menschen, die sich mit dem Covid-19-Virus infiziert hatten. „Die Quote ist rückläufig“, betont Kreissprecher Tobias Frohnert. Zur Auslastung (Hospitalisierung) der Kliniken sei der Kreis nicht aussagefähig: „Die Zahlen laufen beim Land zusammen, Kiel entscheidet ja auch über die in dem Zusammenhang zu treffenden Maßnahmen.“
Dritte Impfung schließt Grundimmunisierung ab
Auf einer Pressekonferenz mit Minister Spahn zeigte sich der Berliner Impfstoff-Forscher Leif Erik Sander Montag zurückhaltend: Mit einer Drittimpfung werde eine „Immunantwort erreicht, die lange andauern wird“. Im ZDF-Interview wurde der Charité-Professor deutlicher: Mit der Drittimpfung „kann der Impfschutz um den Faktor 10 bis 20 steigen“ – sich also mindestens verzehnfachen.
Dr. Timo Rath, ärztlicher Direktor des Johanniter-Krankenhauses Geesthacht, übersetzt. „Die Grundimmunisierung ist erst mit der dritten Impfung abgeschlossen.“ Zu Deutsch: Begriffe wie Boostern oder Ergänzungsimpfung sind irreführend.
Drei Impfungen auch zum Schutz vor Hepatitis notwendig
Überraschend ist diese Erkenntnis nicht: Auch gegen Wundstarrkrampf oder bei einer Kombi-Impfung gegen Hepatitis A und B gelten drei Impfungen als notwendig für den vollständigen Schutz. In Bergedorf mag man sich dazu noch nicht festlegen.
Egal, ab der wievielten Dosis Impfstoff der vollständige Schutz vor dem tückischen Corona-Virus einsetzt oder ob Begriffe wie Booster- oder Ergänzungsimpfung richtig gewählt sind: Für Prof. Dr. Martin Keuchel, den verantwortlichen Impfarzt des Bergedorfer Agaplesion Bethesda Krankenhauses mit eigenem Impfzentrum, ist das nicht die Kernfrage.
Bergedorfer Impfarzt: „Ungeimpft ist die schlechteste Variante“
„Wir müssen grundsätzlich an die ran, die bisher noch nicht dran waren. Bei aller Diskussion um die Richtigkeit von Begriffen wie Boostern: Ungeimpft ist die schlechteste Variante“, appelliert Keuchel an immer noch zu viele unzureichend vor dem Virus geschützte Bürger.
Zur Frage, wie viele Impfungen der Körper wirklich zur Immunisierung gegen Covid-19 brauche, möchte sich Keuchel gegenwärtig nicht festlegen. Trotz anerkannter wissenschaftlicher Studien ist die Datenlage aus seiner Sicht noch nicht ausreichend, die Entwicklung in der Pandemie sei „dynamisch, wir müssen weiter beobachten“. Wobei der Bergedorfer Chefarzt befindet, dass eine Kreuzimpfung aus Astra-Zeneca und Biontech eine „gute Kombination“ sei – doch auch für die Ideallösung brauche es weitere wissenschaftliche Daten für die Ständige Impfkommission (Stiko).
Corona-Lage in Bergedorf beruhigt sich etwas
Gegenwärtig scheint sich die Corona-Lage in der Bergedorfer Klinik etwas zu beruhigen. Zurzeit werden in der Zentralen Notaufnahme (ZNA) sechs Infizierte behandelt. Zwei männliche ungeimpfte Patienten (Mitte 50 bis Mitte 70 Jahre alt) müssen mit schweren Krankheitsverläufen intensivmedizinisch behandelt werden, einer von ihnen wird beatmet. Das übrige Patienten-Quartett aus drei Männern und einer Frau ist 70 bis 90 Jahre alt, zweimal durch- und einmal nicht geimpft.
Das Thema Impfen im Bethesda, das rein aus dem Personalstamm des Krankenhauses bestritten wird, endet bekanntlich am 23. Dezember mit den letzten Zweit und Drittimpfungen. Bethesda-Sprecher Matthias Gerwien wartet seit zwei Wochen auf eine Reaktion aus der Sozialbehörde: „Wir haben ja angeboten, dass wir den mobilen Impfteams für ein neues Impfzentrum unsere Räume zur Verfügung stellen. Aber zu unserem Erstaunen ruht seit 14 Tagen der See.“
Impfpflicht wird diskutiert, Experten überhört
Wer erleben möchte, wie Kommunikation nicht funktioniert, braucht derzeit nur nach Berlin und in einige Länder zu blicken. Dort überbieten sich Politiker mit Appellen und Forderungen, die Menschen sollten sich endlich impfen lassen. Eine Impfpflicht, in der Vergangenheit in schönster Regelmäßigkeit ausgeschlossen, wird von Ministerpräsidenten im besonders von Corona gebeutelten Süden und Osten jetzt ins Rampenlicht geschoben. Betrachter fragen sich, nach welchem Motto verfahren wird. Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Oder vielleicht: Wer plant, ist nur zu faul zum Improvisieren?
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Wer wieder geflissentlich überhört wird, sind die Experten. Diejenigen, die schon im Sommer gemahnt hatten, nicht ohne Konzept und Vorbereitung in den zweiten Corona-Winter zu schliddern. Die Virologen und Epidemiologen, die nicht müde werden zu erläutern, dass viele aktuell diskutierten Maßnahmen zu spät kommen, um die vierte Corona-Welle noch brechen zu können, weil die Wirkung zu spät einsetzt. Und die darauf hinweisen, dass wer wirklich meint, wir könnten die Pandemie im kommenden Frühjahr überwinden, gut daran tut, jetzt denkbare Szenarien zu analysieren – und dann möglicherweise notwendig werdende Maßnahmen.
Corona: Fünfte Welle ist nicht ausgeschlossen
Bei aller Hoffnung, der Spuk müsse bald enden, dürfen die Politiker nicht der nächsten Fehleinschätzung unterliegen. Eine fünfte Welle ist keineswegs ausgeschlossen. Wer sagt uns denn, dass das Coronavirus nicht weiter mutiert, auf die Delta-Variante nicht noch weitaus ansteckendere folgen?
Wartet die Politik weiter, riskiert sie viel – neben dem Verlust von Glaubwürdigkeit: Reicht der Flickenteppich zu spät ergriffener Einzelmaßnahmen dann nicht aus, droht trotz aller Beteuerungen ein neuer Lockdown. Zugleich würde den Corona-Leugnern ins Blatt gespielt, die „schon immer wussten“, dass Impfen nicht hilft.