Hamburg. Es mangelt an Organisation, Hausärzte sind überfordert, HNO-Ärzte geben auf: Der Ansturm auf Dritt-Impfungen wird schlecht bewältigt.
Der Frust ist groß in Bergedorfs Arztpraxen: „Das Informationschaos um die Booster-Impfungen, das die Politik mit widersprüchlichen Äußerungen ausgelöst hat, legt teilweise die Sprechstunden lahm“, sagt Dr. Anja Bommersheim-Klie von der Hausarztpraxis Curslack. Und Kollege Gregor Brinckmann vom Reetwerder in Bergedorf pflichtet ihr bei: „Mein ganzes Team ist extrem belastet, weil nun plötzlich alle die dritte Impfung haben wollen. Das bedeutet extrem viele Gespräche und Beratungsbedarf, obwohl noch anderes zu tun ist. Nebenbei stecken wir mitten in der Grippe-Saison.“
Die beiden Mediziner gehören zu den wenigen niedergelassenen Ärzten, die in Bergedorf überhaupt noch gegen Corona impfen. Immer mehr geben auf, darunter nun auch sämtliche HNO-Ärzte im Bezirk. Wer noch impft, tut das aus Verantwortungsgefühl gegenüber seinen Patienten – vor allem den Älteren, die jetzt dringend die Auffrischung ihrer Corona-Antikörper brauchen, um sicher durch den Winter und die Welle der hochansteckenden Delta-Variante zu kommen.
Ärzte impfen sogar in ihrer Freizeit
Ob nur sie oder auch Jüngere sich zur Drittimpfung anmelden, wird aber kaum noch kontrolliert – aus ganz pragmatischen Gründen: „Filtern wir viele aus, würden sie unsere Telefone über Wochen immer wieder mit Terminnachfragen blockieren“, sagt Dr. Jens Christiansen von der Gemeinschaftspraxis am Rosenplatz in Reinbek. „Fakt ist: Wir schaffen den Andrang nicht. Und das, obwohl wir längst sogar schon in unser Freizeit impfen.“ Als einzigen Hoffnungsschimmer sieht er die Wiedereröffnung der Impfzentren wie jetzt in Schleswig-Holstein.
Ein Drama, das auch bei der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg bemerkt worden ist. Allerdings kommt der Vorsitzende Walter Plassmann zu einem anderen Schluss: „Wir werden allen Menschen, die eine Auffrischungsimpfung haben möchten, diese auch geben können – vorausgesetzt, es halten sich alle an die Regeln.“ Die wichtigste sei, die Karenzzeit von sechs Monaten einzuhalten. Mindestens: „Das halbe Jahr zwischen zweiter und dritter Impfung ist ein vorsichtig gewählter Richtwert. Es ist auch kein Problem, wenn der Booster-Termin ein paar Tage oder Wochen nach dieser Frist liegt.“
Die noch nicht Geimpften sollen an erster Stelle stehen
Wichtiger sei vielmehr, dass sich alle ohne Impfschutz nun endlich impfen lassen, ergänzt Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender der Vertreterversammlung der KV Hamburg: „Wir sollten uns darum bemühen, die noch nicht Geimpften zur Impfung zu bewegen. Das hätte einen viel größeren Effekt auf das Infektgeschehen als die Booster-Impfung.“ Dass trotzdem alle Impfwilligen versorgt werden können, steht für ihn außer Frage: „Unsere Angebote in Hamburg mit den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten, den Impfstellen in den Kliniken und den mobilen Teams der Sozialbehörde sind völlig ausreichend.“
Das erleben Bergedorfs niedergelassene Ärzte anders. „Es fehlt eine Organisation des Ansturms von oben, vor allem klar definierte Altersgruppen, wer wann geboostert wird“, sagt Gregor Brinckmann.