Bergedorf. Das Kultmusical aus den späten 60er-Jahren wird neu interpretiert. Weitere Aufführungen im Haus im Park stehen an.

Die alten Lieder haben mehr als 50 Jahre nichts von ihrem Zauber verloren, die schillernden Kostüme und energiegeladenen Choreografien keinen Flusen Staub angesetzt. Mehr als 160 Besucher – 200 dürfen laut Corona-Regeln in den Saal -- feierten am Sonntagabend im Haus im Park mit einem Ensemble des Altonaer Theaters und dem Kultmusical „Hair“ einen fulminanten Auftakt der Theatersaison 2021/2022.

Wer eine 1:1-Reproduktion des 1968 am Broadway uraufgeführten Originals erwartet, wird mit dieser Inszenierung überrascht. Regisseur Franz Josef Dieken und sein junges Bühnenteam haben den Drahtseilakt gewagt, den Hippie-Klassiker politisch zu aktualisieren und konsequent in die Gegenwart zu bürsten – ohne Rücksicht auf Verluste. Das ist ziemlich gut gelungen, wenn auch nicht in jeder Sequenz dieser Produktion. Gleich zu Beginn müssen wir noch einmal den todbringenden Sturm tumber Trump-Fanatiker auf das Kapitol in Washington Anfang dieses Jahres ertragen, bevor die heiß ersehnten Hair-Hippies auf den Plan treten und sie verscheuchen.

Ein kleineres Themenspektrum hätte gutgetan

Das Ensemble begeisterte das Publikum in Bergedorf.
Das Ensemble begeisterte das Publikum in Bergedorf. © Thomas Voigt | Thomas Voigt

Nun aber bekommt die Gegenwartswelt ihr Fett weg: Profitgierige Kriegstreiber, korrupte Machthaber, Rassisten, Frauenfeinde, selbst ernannte Querdenker, Gegner von soziokultureller Vielfalt, religiöser Freiheit und sexueller Diversität – das alles wird hier im Schnelldurchgang angeprangert. Auch all diejenigen, die die falschen Drogen nehmen: „Immer mehr Zucker, immer mehr Fleisch, immer mehr Pornos, immer mehr Schnaps.“ Dabei gibt es doch einen Gegenentwurf: „Wer kifft, kann nicht hassen“ – eine gewagte These, ganz sicher nicht über jeden Zweifel erhaben.

Die pulsierende Taktung von „Hair“ voller Tanz zu guter Musik lässt wenig Raum für Dialoge mit Tiefgang, und so kommen besonders im ersten Teil die knappen Statements mitunter hölzern, gar oberlehrerhaft daher. Ein kleineres Themenspektrum hätte gutgetan.

Auch Donald Trump und Joe Biden geben sich die Ehre

Nach der Pause kommt das Stück, dessen Bühnenbild aus nicht mehr als drei Podesten besteht, merklich besser in Fluss. Die Geschichte vom Bürgersöhnchen Claude Bukowski, das auf seinem Weg zur militärischen Musterung ein paar Tage bei den Hippies im Central Park verbringt, nimmt Fahrt auf. Spätestens als die Figuren Donald Trump und Joe Biden nebst Ehefrau Jill sich in einem kurzen Gastauftritt einen Schlagabtausch liefern, bietet die Inszenierung gekonnte, unterhaltsame Dramaturgie, die in einer turbulenten Prügelszene mit schlagstockbewehrter Polizei und halbnackten Hippies einen ihrer Höhepunkte hat.

Haben sich Regisseur Dieken und sein Team mit „Hair“ übernommen? Nein, haben sie nicht. Das bewies der lang anhaltende Applaus des Publikums, das sich offenkundig bestens unterhalten fühlte. Und zweifellos meint das Ensemble es gut mit diesem Stück, nur manchmal eben – ein bisschen zu gut.

Weitere Aufführungen beginnen am heutigen Dienstag um 19.30 Uhr und am morgigen Mittwoch um 16 Uhr, Karten zu 13 bis 32 Euro unter https://www.theater-bergedorf.de/karten/, unter der Telefonnummer 040/725 70-265 oder direkt an der Abendkasse.