Hamburg. Liberal, schlagfertig, eigensinnig: Die 48-Jährige geht für die FDP als Direktkandidatin im Wahlkreis 23 in die Bundestagswahl.

Was für eine Aussicht: Sonja Jacobsen entschuldigt sich für den leicht rumpeligen Zustand der sehr geräumigen Dachterrasse. Aber wen interessiert ein bisschen Unordnung bei dieser Optik? Vom Gojenberg aus bis weit ins Landgebiets schauen zu können, das hat schon was.

Die FDP-Direktkandidatin zur Bundestagswahl spannt den Sonnenschirm auf. „Entschuldigen Sie, dass der Tisch so vollgekritzelt aussieht. Die Kinder malen hier rum.“ Sonja Jacobsen ist Mutter von einem neunjährigen Jungen und einem siebenjährigen Mädchen, verheiratet mit einem Konzertmusiker.

Die Bundestagswahl war lange Zeit nicht das Ziel der 48-Jährigen

Doch mal fernab von tollen Ausblicken und irgendwelchen Kritzeleien: Sowohl ihre politische als auch berufliche Karriere können sich sehen lassen. „Master of broadcast journalism“, diesen Titel hat sich Sonja Jacobsen an der University of Sheffield verdient und danach als TV-Journalistin Fuß gefasst. Als Deutschland 2006 das fußballerische Sommermärchen genoss, jagte sie für den Nachrichtenkanal N24 einen Problembären.

„Bruno“ machte damals den Süden des Landes unsicher, die TV-Journalistin berichtete sechs Wochen lang über den „tierischen Störenfried“. Dafür spendierte die Süddeutsche Zeitung damals eine ganze Seite – Reporterin Jacobsen im Interview mit einem Experten. Der Artikel in der Bergedorfer Maisonettewohnung hängt auf der Treppe zwischen Büros der Eltern und dem Familienbereich.

Berichte über den Problembären, Beyoncé und das Oktoberfest

Im Jahr 2007 wechselte sie innerhalb der Senderfamilie als TV-Schlussredakteurin zum Boulevard-Magazin „taff“ von Pro Sieben. Da hat sie schon große Sängerinnen wie Beyonce oder P!nk zum Interview vor die Kamera gebeten: „Das ist aber weniger aufregend, als es klingt.“ Sechs Minuten, drei Fragen – das war’s. Aufregender war da schon der Selbstversuch: Wie viele Maß Bier kann eine Reporterin beim Oktoberfest tragen? Sonja Jacobsen schaffte 14 auf einmal.

Jetzt hat die 48-Jährige etwas geschafft, was viel mehr wiegt als 14 Maßkrüge zu stemmen: die Liberalen in Bergedorf in Rekordzeit zu besänftigen. Politisch sei sie zwar schon immer gewesen, „wenn ich an die Diskussionskultur am elterlichen Abendbrottisch zurückdenke“.

Umzug von München nach Bergedorf

Doch erst 2017 trat sie nach einem Wahlabend mit der ehemaligen Hamburger FDP-Fraktionschefin Katja Suding in der Bergedorfer „Klangbar“ in die von Männern dominierte Partei ein. Zwei Jahre zuvor war Familie Jacobsen von München nach Bergedorf gezogen.

„Vorher waren wir in der FDP fürs Zanken bekannt, jetzt ist ein guter Teamgeist da“, freut sich Sonja Jacobsen über die Stimmung nicht nur in Bergedorf, „momentan macht es in der Hamburger FDP unglaublich Spaß“ – und schickt noch einen Leitspruch ihres Vaters hinterher: „Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg.“ Eine Journalistin eben, die die Wichtigkeit des Wortes kennt.

Sonja Jacobsen spricht gern in Bildern

Sonja Jacobsen ist auch eine vorzeigbare Rednerin. „Ich spreche gern in Bildern“, sagt sie. Sehr schnell zur Bergedorfer Fraktionschefin gekürt, vermochte sie es innerhalb kürzester Zeit, die Partei aus der Versenkung in Regierungsverantwortung zu lenken.

Und Sonja Jacobsen bemüht zu den geglückten Verhandlungen zur Bergedorfer Koalition aus SPD, Grünen und FDP gern dieses Bild: „Die Bauerstochter mit dem entscheidenden Stück Land unter den Füßen“. Erst mit den Stimmen der Liberalen konnte das Bündnis perfekt gemacht werden.

Niederlage um die Spitzenkandidatur für die Hamburger Bürgerschaft

Eigentlich hatte die FDP-Vorzeigefrau vor den Bezirkswahlen 2019 fest mit der Oppositionsbank gerechnet, sich schon mit den typischen Parolen „zu wenig, zu spät, zu klein“ angefreundet. Es kam anders.

Doch es ging nicht nur in die Höhe – weil Niederlagen dazu gehören: Wie die von 2019, als die Bergedorferin im Ringen um die Spitzenkandidatur für die Hamburger Bürgerschaft gegen Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein unterlag: „Das ist doch Demokratie, solche Kampfkandidaturen.“ Entweder ganz oder gar nicht – auch so ein Motto.

Die Liberale ist eine leidenschaftliche Radfahrerin

Sonja Jacobsen geht mit klaren Meinungen in den Wahlkampf. Etwa zum Klimaschutz: Dies sei die „große Herausforderung unserer Gesellschaft. Alle Parteien sind sich darüber einig, allein beim Weg zum Ziel sind sie sich wiederum nicht einig.“

Grundsätzlich plädiere ihre Partei bei der Energiewende für eine „Technologieoffenheit“, vor allem was den CO-Abdruck in der Produktion angehe. „Was wir nicht brauchen, ist eine neue Klientelpolitik“, sagt die Liberale, die als leidenschaftliche Radfahrerin schon mal mit gutem Beispiel voran geht.

Dringend Fortschritte notwendig bei der Digitalisierung

Keine falschen Illusionen sollten sich die Bürger über die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie machen: „Uns werden die Unternehmenspleiten noch um die Ohren fliegen“, malt die 48-Jährige ein düsteres Szenario – trotz milliardenschweren Hilfsprogrammen.

Denn bei wem es vorher schon krankte, bei dem würden Probleme durch Hilfspakete doch nur verschoben. Jacobsen fordert eine rigide „Haushaltsdisziplin“. Die Krise habe deutlich gezeigt, wo der Staat modernisieren müsse, etwa bei der Digitalisierung.

Sonja Jacobsen plädiert für ein modernes Einwanderungsrecht

Die FDP ist für ein modernes Einwanderungsrecht: „Die Forderung nach einer unspezifischen Einwanderung teile ich nicht.“ Statt Forderungen setze ihre Partei auf Förderung der Eingliederung: „Es gibt erwiesenermaßen kein besseren Integrationsfaktor als Arbeit.“

Sonja Jacobsen (48, FDP)

Familie: Gebürtige Düsseldorferin – wie das passieren konnte, fragt sich Sonja Jacobsen noch heute: „Das ist sozusagen bei der Durchreise passiert, weil meine Eltern damals dort berufstätig waren. Meine beiden Brüder als Original-Hamburger verzeihen mir das nie“, flachst Jacobsen über ihren Geburtsort.

Beruf: Abitur in Köln, Studium in Berlin, Master in Sheffield, dann erste Medienerfahrung bei der Station „Radio Sputnik“ in Halle an der Saale. Über N24 ging es dann 2007 als Schlussredakteurin zum Pro7-Boulevard-Magazin „taff“ – zurzeit arbeitet Jacobsen für das Format zwei Tage in der Woche Vollzeit aus dem Home Office. Die Resttage regieren Familie und Kommunalpolitik.

Liebstes Reiseziel: „Ich bin sehr, sehr gern am Meer und liebe das Geräusch, wenn Wellen an den Strand schlagen.“

Politisches Vorbild: Hildegard Hamm-Brücher (1921-2016), Grande Dame des Liberalismus, von 1976 bis 1982 Staatsministerin im Auswärtigen Amt. „Mich beeindruckte ihre Präzision der Sprache und ihre Art als verbindliche Führungspersönlichkeit. In einer Zeit, in der es für Frauen in Führungsstellungen schwer war.“

Lieblings-Fernsehprogramm: Als Serie wäre es das Krimi-Drama „Breaking bad“. Bei der Spielfilmwahl überrascht Jacobsen mit einer Art-House-Produktion aus Japan aus dem Jahr 2001: „Hole in the sky“. „Generell mag ich Filme mit starker Bildsprache.“