Bergedorf. Die Mayers haben fünf eigene Kinder und Pflegesohn Luca. Für den Achtjährigen, der gehandicapt ist, kämpfen sie um eine Schulbegleitung.
Luca war gerade mal vier Monate alt, als er von Familie Mayer aufgenommen wurde. Damals ahnten Jessica und Patrick Mayer noch nicht, was die vier Buchstaben FASD bedeuten. Sie stehen für Fetal Alcohol Spectrum Disorder (auf Deutsch: fetale Alkoholspektrum- störung) und meinen, dass die Mutter während der Schwangerschaft einem „Missbrauch von Genussmitteln“ unterlag.
„Die leibliche Mutter aus Bergedorf hat uns nur gesagt, dass sie viel geraucht habe“, so das Paar, dem aufgefallen war, dass Luca viel schrie, zugleich passiv und „irgendwie abwesend“ erschien. Seither sind viele Arzttermine vergangen, wurde der Grad seiner Behinderung von 30 auf 70 Prozent hochgestuft – aber die größten Probleme kamen erst mit der Einschulung und „diesem Kompetenzgerangel der Behörden“, so der 40-Jährige, der „echt sauer und verzweifelt“ ist.
Manchmal tanzt er lieber im Regen, anstatt zu lernen
Die Sonderschule am Reinbeker Redder sollte es sein, denn dort betreuen Sozialpädagogen sehr kleine Klassen. „Trotzdem wurde ich oft angerufen, ich möge ihn abholen, weil er sich im Klo eingeschlossen hatte, mit einer Schere Bücher zerschnitt oder mit einem Wutanfall auf einer Wiese in der Nachbarschaft stand“, erzählt Jessica Mayer und weiß, dass „Luca nun mal eine tägliche Überraschungstüte ist“. Schließlich tanze der Junge manchmal auch einfach lieber im Regen, anstatt zu lernen.
Nun will die 39-Jährige aber auch als Reiki-Meisterin arbeiten, ihr Mann ist beim Zoll in der Finanzkontrolle für Schwarzarbeit – da können beide nicht „mal eben“ von Kirchwerder zur Schule nach Lohbrügge fahren. Dabei sind sie im Alltag bestens organisiert, schließlich gibt es noch fünf leibliche Kinder im Alter zwischen vier und 20 Jahren.
Jetzt wird Luca auch noch vom Schwimmunterricht ausgeschlossen
Was also tun? Eine Schulbegleitung müsse her, die dem durchaus charmanten Drittklässler zwischendurch die Hand hält und „zur Ruhe bringt“. Ein entsprechender Antrag durchläuft seit Februar Jugendamt und Schulbehörde, die seit 2014 für solche Begleitungen zuständig ist. Passiert sei aber nichts – im Gegenteil: „Jetzt wurde er vom Ganztag, den das DRK betreut, ausgeschlossen.
Luca wird jeden Mittag um 13 Uhr mit dem Schulbus nach Hause gebracht, obwohl er nachmittags lieber mit seinen Freunden spielen würde“, ärgern sich die Pflegeeltern, die zudem frisch nach den Ferien einen Brief der Schulleitung erhielten: „Jetzt wird Luca auch noch vom Schwimmunterricht ausgeschlossen, weil man mit nur zwei Begleitern nicht für seine Sicherheit garantieren könne.“
Manche Eltern sind darüber arbeitslos geworden
Immer sei alles schwierig und kompliziert, meinen die Eltern, die einen „Hilferuf zu fehlender Inklusion“ abschickten an Schulbehörde, Jugendamt, Bergedorfer Pflegeberatung und das FASD-Fachzentrum, dem Tobias Wolff vorsteht.
Der Vater von drei Pflegekindern kennt diese Probleme: „Die Schulbegleitung ist eine riesige Bürokratie, für die Eltern hart kämpfen müssen. Manche sind darüber sogar arbeitslos geworden“, berichtet Wolff und verweist auf das Bundesteilhabegesetz: „Die Kinder werden um ihr Recht gebracht, bis 16 Uhr kostenlos am Nachmittagsunterricht teilzunehmen.“ Dabei seien frühe Hilfen bei dieser „unsichtbaren Behinderung“ so wichtig.
Ein bis zwei Prozent aller Geburten seien betroffen
Wolff nennt Zahlen: Ein bis zwei Prozent aller Geburten seien betroffen, also bis zu 400 Hamburger Kinder jährlich, die zu 90 Prozent ein Leben lang auf Hilfe angewiesen seien. Und er betont: „Ein Drittel aller Pflegekinder sind betroffen.“
Das übliche Verfahren läuft über das Regionale Bildungs- und Beratungszentrum, erklärt Behördensprecher Peter Albrecht: „Die Stammschule stellt eine Anfrage beim ReBBZ, das mit der Schulbehörde über den Umfang und die Qualifikation der Begleitung entscheidet.“ Das scheint nun endlich funktioniert zu haben, frohlockt Ehepaar Mayer: „Das ReBBZ kündigt ein Treffen Ende August an, um zu sehen, was schiefläuft und wo es hakt. Vielleicht tut sich dann was.“