Lohbrügge/Lampedusa. Kapitän Ingo Werth aus Lohbrügge berichtet über seinen Einsatz auf dem Mittelmeer, mit dem er Menschenleben gerettet hat.
Zwei Wochen voller Flüchtlingsdramen auf dem Mittelmeer liegen hinter Kapitän Ingo Werth und seiner Crew: Mit der „Nadir“, einem 19 Meter langen Motorsegler der private Organisation „ResQship“, war der Lohbrügger (62) unterwegs, um Leben zu retten auf dem Wasser, das laut Werth vom Urlaubsparadies zur „tödlichsten Grenze der Welt“ geworden ist. Unsere Zeitung hatten mehrere seiner Tagesmeldungen über den Einsatz auf dem Mittelmeer veröffentlicht.
Hier Ingo Werths Abschlussbericht samt bitterbösem Fazit: „Wir haben die 27 verzweifelten Menschen auf dem winzigen Boot gefunden und lebendig der ,Geo Barents’ von ,Ärzte ohne Grenzen’ übergeben, ich habe darüber berichtet. Sie hatten 30 Stunden nach ihrem Notruf in Lebensgefahr ausharren müssen, bis wir sie endlich erreichten. Dabei hatte ihr SOS alle verantwortlichen Küstenwachen und Seenotrettungsstellen erreicht. Warum ist niemand ausgelaufen?
Bergedorfer berichtet vom Einsatz auf dem Mittelmeer
Auf dem Bild unten ist am Horizont ein Tanker zu erkennen, der nicht reagierte, die Kerkennah Inseln sind etwa 20 und die Hafenstadt Sfax 35 Meilen entfernt, die große Gas- und Ölbohranlage liegt in Sichtweite – und keiner hilft? Wir haben es schon drei Tage vorher an fast der gleichen Position erlebt, als wir nachts mit der ,Sea Watch 3’ und der ,Ocean Viking’ 400 Menschen vor dem Ertrinken bewahrten. Die sogenannte Libysche Küstenwache ist einfach zehn Meilen vorher umgedreht, die Tunesier sind gar nicht erst rausgefahren.
Es ist wichtig, dies genau zu dokumentieren, und das haben wir getan. Es ist wichtig, um in aller Öffentlichkeit anklagen zu können: Ihr wollt die Menschen sterben lassen, ihr habt euch bewusst dazu entschieden, dass diese Menschen es nicht wert sind, dass ihr eure Motoren anschmeißt und ihnen zu Hilfe eilt. Wie grausam ist die Welt, wie weit ist der Verlust jeglichen ethischen und moralischen Anspruchs fortgeschritten, dass so etwas sich täglich auf einem europäischen Meer abspielen kann?
Über 400 Menschen vor dem Ertrinken bewahrt
Wenn ein weißer Mensch in der Ostsee in Schwierigkeiten gerät, wird eine Rettungskette gestartet, die ihresgleichen sucht. Und das ist auch gut so. Aber ist es zulässig, dass der Wille Menschenleben zu retten, abhängig von der Hautfarbe sein darf? Ich meine nein, das ist nicht zulässig, wer nicht hilft, macht sich schuldig und handelt kriminell.
Es ist eine große Freude mit den Seeleuten der italienischen und maltesischen Küstenwachen und der anderen Organisationen auf See zusammenzuarbeiten. Alles Menschen, die den Grundsatz der Hilfeleistung verinnerlicht haben. Wie schrecklich der Kontrast zu den Entscheidungsträgern an Land aller europäischer Staaten, nicht nur der der Mittelmeeranrainer.
Crew spürt große Befriedigung über den Einsatz auf dem Mittelmeer
Ich spüre trotzdem, dass meine Crew eine große Befriedigung empfindet durch das auf See für andere Menschen Geleistete. Ich spüre aber auch, dass das Ende der jetzigen Etappe wichtig ist, denn jede und jeder hat viel Kraft gelassen. Wir bringen das Schiff sicher in den Hafen zurück. Am Wochenende geht’s in die Heimat. Aber wir sind entschieden, wieder rauszufahren, entschieden, dass Menschen in Not uns nicht egal sein können.“
Mehr zu „ResQship“ findet sich unter https://resqship.org.