Bergedorf/Lohbrügge. An der Hochschule in Lohbrügge werden Studenten in Rettungsmanagement ausgebildet. Aus den aktuellen Ereignisse sollen sie lernen.

Eine Hochwasserkatastrophe wie an der Ahr und in der Eifel kann auch bei uns im flachen Norden nicht ausgeschlossen werden, meint Professor Boris Tolg. Der Wissenschaftler unterrichtet an der Lohbrügger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Studierende in den beiden Studiengängen Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr. „Gebirgsbäche, die wie in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu reißenden Strömen werden und ganze Häuserzeilen einreißen, wird es bei uns im Raum Bergedorf zwar nicht geben“, räumt Boris Tolg ein. Gleichwohl könne die Katastrophenlage durch Überflutung nach vergleichbarem Starkregen bei uns ähnlich schwer werden wie in der vergangenen Woche in Westdeutschland. „Wenn das Wasser einmal da ist, richtet es Schaden an und gefährdet Menschenleben, im Flachland ebenso wie im Hochgebirge.“

Jeweils 40 Studierende beiderlei Geschlechts (die männlichen laut Tolg leicht in der Überzahl) starten pro Halbjahr an der HAW die beiden Bachelor-Studiengänge, die das effektive Management von Rettungsdiensten und Katastrophenschutz vermitteln – mit den unterschiedlichen Schwerpunkten „Einsatz im Ernstfall“ und „Vorbeugung“. Dozent Tolg weiß von zwei seiner früheren Studenten, die derzeit noch im besonders hart getroffenen Städtchen Ahrweiler im Einsatz sind – der eine als freiwilliger Helfer beim DRK, ein anderer arbeitet für das THW im gemeinsamen Krisenstab der beteiligten Hilfsorganisationen vor Ort.

Was hätte im Hochwassergebiet besser laufen können?

Professor Boris Tolg vom Department Medizintechnik an der HAW Lohbrügge
Professor Boris Tolg vom Department Medizintechnik an der HAW Lohbrügge © Ulf-Peter Busse | Ulf-Peter Busse

„Das Szenario in Westdeutschland wird aber auch Eingang in unsere aktuellen Studieninhalte finden“, sagt der Professor. Beim regelmäßigen „Stabstraining“ üben die Studierenden anhand simulierter Katastrophenfälle in Echtzeit die Organisation der Einsätze von Polizei, Feuerwehr, DRK oder THW. Als Lehrstück werde in dieses Studienmodul nun auch das reale Katastrophengeschehen von Ahr und Eifel integriert, die dortigen Abläufe am grünen Tisch optimiert.

Was hätte dort besser laufen können und müssen in diesen Wochen, um möglichst jedes der 170 Menschenleben zu retten? „Keine Katastrophenlage gleicht der anderen, daher durchläuft jede Lage zu Beginn eine Chaos-Phase, bevor die angemessene Kommandostruktur geschaffen ist“, sagt Boris Tolg. Zudem habe hier von Beginn an eine beschädigte Infrastruktur wie überflutete Verkehrswege und gekappte Strom-, Festnetz- und Funkverbindungen die Sache erschwert.

Professor fordert mehr Alarmsirenen und Warn-SMS

Defizite mit dringendem Korrekturbedarf gab es nach Worten des Professors aber im unmittelbaren Vorfeld der Katastrophe bei der Alarmierung der gefährdeten Menschen: „Schon beim bundesweiten ,Warntag’ im Jahr 2019 wurde doch deutlich, dass die Alarmierung die Leute nicht erreicht. Als ich damals das Fenster öffnete, hörte ich nur aus ganz weiter Ferne eine leise Sirene, und meine beiden Gefahren-Apps ,Nina’ und ,Katwarn’ meldeten sich mit stundenlanger Verspätung. Wir brauchen wieder mehr Alarmsirenen wie in der Zeit vor Ende des Kalten Krieges.“ Zudem regt Tolg die Einrichtung eines „Cell Broadcast“ für Mobilfunknetze an, wie es in anderen Ländern schon praktiziert wird. Bei dieser Nachrichtenübertragung könnte jedes Mobiltelefon, das sich innerhalb einer Zelle des Funknetzes befindet, per SMS eine Katastrophenwarnung erhalten.

Die Teilnehmer der Studiengänge Rettungsingenieurwesen und Gefahrenabwehr haben überwiegend, aber nicht zwingend praktische Erfahrungen bei Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr oder Rettungsdienst. Boris Tolg: „Wir freuen uns über jeden, der bei uns studieren will.“