Hamburg. Dirk Rosenkranz setzt sich für seine Mitmenschen ein. Er ist Vereinsvorsitzende der Deutschen Muskelschwund-Hilfe. Ein Besuch.
Bloß kein Mitgefühl, Respekt und Gespräche auf Augenhöhe sind angesagt. „Ich bin ganz normal, bis auf ein paar Einschränkungen“, meint Dirk Rosenkranz. Dass der engagierte Mann im Rollstuhl „ganz normal“ ist, finden wir nicht – und stellen ihn heute als ersten Kandidaten für den Bergedorfer Bürgerpreis 2021 vor, gestiftet von der Volksbank Bergedorf und unserem Zeitungshaus.
Aber nicht ganz freiwillig ist der Bergedorfer seit fast zehn Jahren der Vereinsvorsitzende der Deutschen Muskelschwund-Hilfe. Schließlich ist er selbst betroffen und musste von seinem Vorgänger Joachim Friedrich lange für das Ehrenamt überredet werden. „Durch ihn habe ich gelernt, die Krankheit zu verstehen und anzunehmen. Und verdammt noch mal um Hilfe zu bitten. Denn woher sollen andere wissen, wo ich Unterstützung brauche?.“
Dirk Rosenkranz ist für den Bergedorfer Bürgerpreis nominiert
Dass irgendetwas nicht stimmt, fiel noch längst nicht auf, als er mit Papa auf dem Trimm-dich-Pfad in der Boberger Niederung die Klimmzüge nicht schaffte. Auch die Mama, die damals im Allgemeinen Krankenhaus Bergedorf arbeitete, war überrascht: Dirk war gerade mal 13, als ein Mitschüler auf der Ernst-Henning-Schule an Gelbsucht erkrankte und vorsichtshalber die ganze Klasse untersucht wurde. Da entdeckten Ärzte diese hohen Werte im Blut – und diagnostizierten Muskelschwund.
„Ihr könnt mich alle mal. Ich mache, was ich will“, kommentierte der Knabe, der nicht hören wollte, dass er „höchsten 40 Jahre alt“ werden sollte. Heute schaut der 55 -Jährige auf ein intensives Leben zurück – „obwohl ich sicher auch leichtsinnig war, aber ich bereue nichts“. Natürlich ging er Skifahren und fuhr im Bulli mit seinem Freund Henrik Marks zum Surfen nach Fehmarn. Zwischen der Lehre zum Restaurantfachmann im „Vier Jahreszeiten“ und dem BWL-Studium wurde eifrig gejobbt: „Ich radelte als Briefträger viel durch Ochsenwerder.“
Bis 2006 war Rosenkranz Personalchef des Pay-TV-Senders Premiere
Mit Anfang 30 aber wurde es beschwerlich, konnte er sich nur am Geländer zu seiner Wohnung an der Lohbrügger Marnitzstraße hochziehen. „Auch konnte ich die Wäsche kaum auf den Dachboden schleppen und keinen Bordstein überwinden, ohne mich auf der Motorhaube eines Autos abzustützen.“
Dabei lief im Job noch alles glänzend: Von 1992 bis 2006 war er unter anderem Personalchef des Pay-TV-Senders Premiere, wechselte dann zu einer Werft in Bremerhaven, bis sie nach drei Jahren in die Insolvenz ging. Alle Bewerbungen danach jedoch liefen ins Leere: „Da wurde immer nur überlegt, ob ich belastbar bin oder oft ausfallen würde“, ärgert sich Rosenkranz, der mit Mitte 40 in Rente ging. Damals war er schon verheiratet mit der Heilpraktikerin Jessica, die er vor dem Wentorfer Edeka kennengelernt hatte – „eine großartige Frau, die mich viel unterstützt“. Sie muss ihm aber nicht helfen, wenn er zweimal wöchentlich mit der S-Bahn ins Vereinsbüro am Alstertor fährt. „Immer ärgere ich mich darüber, dass der zweite Aufzug fehlt“, sagt Rosenkranz, der Sozialsenatorin Dr. Melanie Leonhard gern daran erinnert, dass sie Hamburg zur „Inklusions-Metropole“ machen will. Dazu fehlen aber noch reichlich abgesenkte Bordsteine und Behinderten-Toiletten in Hotels und Restaurants.
Mit Bürgermeister Peter Tschentscher über den Pflegenotstand diskutieren
Auch könnte er über den Pflegenotstand trefflich mit Bürgermeister Peter Tschentscher diskutieren: „Er kommt aus der Humangenetik und ist unser Erster Schirmherr“, sagt der 55-Jährige, der auf die Berliner Charité setzt und private Spenden für deren Forschung akquiriert: „Mehr als 300.000 Menschen in Deutschland leiden an Muskelschwund, wovon es etwa 850 verschiedene Formen gibt. Leider ist bis heute keine einzige heilbar.“
So kämpft er für die Rechte auf passende Hilfsmittel und Reha-Maßnahmen. Aber nicht nur im großen Stil will er gesellschaftspolitisch etwas bewegen. Oft hilft ein tröstendes Wort für verzweifelte Eltern. Oder kleine Tipps, zum Beispiel fürs Busfahren oder Fliegen. „Ich würde gern noch viel reisen“, sagt Rosenkranz, der das Leben genießt und anderen Mut machen will: „Wir alle träumen doch von Leichtigkeit. Daher haben wir auch den Schmetterling als Symbol unseres Vereins gewählt.“