Hamburg. Der Bezirk beauftragt einen Sanierungsexperten. Eine Mobilitätsmanagerin ist bereits seit zwei Wochen im Amt.

Mit Volldampf starten die Planungen für das Rise-Entwicklungsgebiet Bergedorf-West – aber bitte mit möglichst wenig CO2-Ausstoß: Immerhin verbraucht derzeit jeder der 7200 „Westler“ jährlich 3,68 Tonnen. „Das Einsparpotenzial ist enorm. Wir könnten mehr als die Hälfte der derzeitigen Emissionen sparen, wenn man die Strom- und Wärmeversorgung sowie das Thema Verkehr genau betrachtet und alle denkbaren Maßnahmen zur Sanierung umsetzt“, sagt Bergedorfs Klimaschutz-Manager Dr. Sebastian Kloth. Genau 15.433 Tonnen CO2 könnten es jährlich weniger sein – allein in dem Quartier, das gerade mal einen Quadratkilometer groß ist.

Bezirksamt Bergedorf: Mehr Klimaschutz in Bergedorf-West

Noch vor Mai soll ein hauptamtlicher Sanierungsmanager eingestellt werden, der sich drei Jahre lang um die Umsetzung des energetischen Quartierskonzepts kümmern wird. Zudem hat im Bergedorfer Rathaus Annika Hanke Mitte April ihre Arbeit als Mobilitätsmanagerin aufgenommen, wird es noch zwei Assistenzstellen für Organisation und Förderprogramme geben. „Wir sind der federführende Bezirk für das Klima und wollen Vorreiter für ganz Hamburg sein“, frohlockt Kloth.

Das könnte gut funktionieren, denn im Modellquartier Bergedorf-West gibt es nur drei große Eigentümer, mit denen über die Modernisierung der Gebäude verhandelt werden muss: 990 Wohnungen hält die Saga, 986 die Bergedorf-Bille und 208 die Schiffszimmerer-Genossenschaft. „Das wird nicht so zäh wie in Bergedorf-Süd, wo wir mit 500 Eigentümern sprechen mussten, was uns die Sache verhagelt hat und wir nicht sehr erfolgreich waren“, meint Bezirksamtsleiter Arne Dornquast. Jetzt aber sei „wirklich Musik drin“.

Mit Drohnen übers Wärmenetz

Grundlage aller Hoffnung ist ein 242 Seiten fassendes Konzept, das die Hamburger Averdung-Ingenieure im Auftrag der Umweltbehörde erstellten – und ganz frisch nachzulesen ist unter www.klimazeichen-bergedorf.de. Ein Hauptaugenmerk liegt auf der Wärmeversorgung für Bergedorf-West: Das fünf Kilometer lange Wärmenetz wurde gar mit Drohnen überflogen, die thermografische Aufnahmen machten. Leckagen wurden nicht gefunden, wohl aber ein „erheblicher Sanierungsbedarf an den Wärmeübergangsstationen“, die sich am Ladenbeker Furtweg etwa noch im Originalzustand aus den 1960er-Jahren befinden. Hier also wäre ein guter Anfang, um Energieverluste zu minimieren.

Jährlich werden rund 43.500 Megawattstunden Wärme verbraucht

Aktuell werden jährlich etwa 43.500 Megawattstunden Wärme verbraucht – mehr als die Hälfte liefert das Wärmenetz der Saga, deren Vertrag mit dem Betreiber Innogy Ende 2023 ausläuft. Eine neue Ausschreibung könnte „weg von einer erdgasbasierten Erzeugung und hin zu einer diversifizierten und zukünftig klimaneutralen Wärmeversorgung“ führen, so die Ingenieure, die zugleich eine Erweiterung des Netzes vorschlagen: Ein Anschluss etwa der zwei Kilometer entfernten Berufsschulen sowie eine Verlängerung um fünf Kilometer bis zur Stadtteilschule (GSB) sei sinnvoll. Beide Ausbaustufen bis zum Jahr 2030 werden mit 9,8 Millionen Euro kalkuliert – mit dem Hinweis auf Bundesfördermittel.

Der Ideen gibt es viele, sie reichen von Dach- und Fassadenbegrünungen über die Entsiegelung von Schulhöfen bis hin zu solarthermischen Anlagen zur Warmwasserversorgung und einer besseren Dämmung der Außenwände, Giebel und Loggienwände. Als Beispiel ist ein Klassenhaus der Grundschule am Friedrich-Frank-Bogen genannt (Baujahr 1968): Mit einer zusätzlichen Dämmung ließe sich der Standard in Richtung Effizienzhaus 55 verschieben, so die Planer und kalkulierten dafür 190.000 Euro. Sollte indes auch das Hochhaus am Ladenbeker Furtweg 260-264 zum Effizienzhaus 55 werden, müsste die Saga knapp sechs Millionen Euro investieren.

Untersuchung: Welche Fußwege sind sanierungsbedürftig?

Auch der Bereich Verkehr, der aktuell eine jährliche CO2-Emission von 11.700 Tonnen verantwortet, biete hohe Einsparmöglichkeiten. Zunächst ist eine Fußwege-Untersuchung geplant: Viele Wege seien sehr schmal, sanierungsbedürftig und nicht barrierefrei. Stellplätze für Car-Sharing und E-Bikes sind ebenso angedacht wie Lastenräder und Fahrradanhänger – am sogenannten Mobility Hub nahe dem Bahnhof. Dort ist bereits eine Stadtrad-Entleihstation, eine weitere sei bei der TSG in der Nähe der Berufsschulen geplant, auch bei der Grundschule und am Sportplatz Sander Tannen könnten sich Stationen anbieten.

Auf dem jetzigen Park & Ride-Platz und im Gewerbehof Zirkuswiese stellen sich die Planer „Micro-Logistik-Hubs“ vor: „Diese Standorte werden nur einmal am Tag mit einem größeren Fahrzeug – maximal 7,5-Tonner – beliefert, danach erfolgt die Paketverteilung nur noch zu Fuß, mit dem Lastenrad oder Elektromobil zum Endkunden.“

Pilotprojekt für Ladestation mit App für Nutzergruppen

Von wegen E-Mobilität: Derzeit gibt es bloß eine Ladestation, die am Friedrich-Frank-Bogen 168 ganztägig zugänglich ist. Da aber die Ladedauer pro Zyklus etwa drei Stunden beträgt, sind mehrere Ladevorgänge nacheinander möglich. Eine Benachrichtigung zum Fahrzeugwechsel könnte für geschlossene Nutzergruppen über eine App erfolgen. Ein solches Pilotprojekt werde zurzeit von der Bergedorf-Bille gemeinsam mit Hamburg Energie auf einer Stellplatzfläche am Friedrich-Frank-Bogen 4 geplant.

„Mal sehen, was wir davon alles wirklich machen können“, sagt Klimaschutz-Manager Kloth – und vertraut auf das Fazit der Ingenieure, die von einer „hohen Umsetzbarkeit“ sprechen und glauben, dass „Bergedorf-West als Impulsgeber für weitere Quartiere dienen kann“. Schließlich will die Stadt Hamburg bis 2030 etwa 55 Prozent seiner CO2-Emissionen reduzieren und bis 2050 klimaneutral sein.

„Eine Herausforderung für Wohnungsunternehmen“

Genau 616 Gebäude ergab die Bestandsaufnahme in Bergedorf-West, wobei es sich zu 53 Prozent um Wohnhäuser handelt, die 3383 Haushalte beherbergen. Baujahr und Geschosszahl werden von den Averdung-Ingenieuren ebenso aufgeführt wie alle Parks und Grünflächen. Die jährliche CO2-Emission im Quartier verteile sich zu 11.696 Tonnen auf den Verkehrssektor, 9057 Tonnen auf den Bereich Wärme und 5779 Tonnen auf die Stromversorgung.

Trotz weitreichender Bundes- und Landesfördermittel für energetische Sanierungen sei eine sozial ausgewogene Mietpreisgestaltung „eine Herausforderung für Wohnungsunternehmen“, geben die Planer zu bedenken. Um Detailfragen zu klären und die Bevölkerung zu informieren, schlagen sie eine „Mobilitätsstation“ am Bahnhof vor sowie Beratung durch die Quartiersentwickler der Steg in deren Büro im „Haus Christo“.