Lohbrügge. Oliver Rohloff beklagt mangelnde Wertschätzung und Unterstützung aus der Politik. Konflikte wegen Systemrelevanz der Eltern-Berufe.

„Wir fühlen uns allein gelassen“, bringt Oliver Rohloff die Stimmung im evangelisch-lutherischen Kindergarten „Wackelzahn“ auf den Punkt. „Wir finden bei den politischen Entscheidern kein Gehör.“ Es mangele an klaren umsetzbaren Vorgaben der Sozialbehörde. Hinzu komme noch die Unsicherheit, dass die Corona-Mutanten deutlich ansteckender sein könnten. Erziehende müssten und wollten nah am Kind arbeiten. Das sei ihr pädagogischer Anspruch. Masken seien da kontraproduktiv, so Rohloff. Aus Angst würden die Erziehenden aber immer häufiger bei Kontakt mit Kindern Maske tragen.

Durch den Hamburger Sonderweg im harten Lockdown hat sich zusätzliches Konfliktpotenzial entwickelt. Zwar gibt es wieder die Liste der systemrelevanten Berufe. Darüber hinaus sollen die Einrichtungen auch auf Notlagen der Eltern reagieren. Was eine Notlage ist, sehen Eltern aber ganz unterschiedlich. „Die Notlagen sind nicht von der Sozialbehörde definiert worden“, sagt der Diplom-Pädagoge. Das bedeute, dass die Mitarbeitenden mit den Eltern in den Austausch gehen müssen, um die Notlage beurteilen zu können.

Sozialbehörde weist Kritik zurück

Martin Helfrich, Sprecher der Sozialbehörde, sagt dazu: „Es ist nicht an den Kita-Leitungen, darüber zu entscheiden, ob sich eine Familie in einer Notlage befindet – aus diesem Grund werden auch keine Kriterienkataloge aufgestellt. Es ist vielmehr Sache der Eltern, dies zu entscheiden.“ Aus familiären Gründen oder in besonders gelagerten Einzelfällen solle die Notbetreuung auch anderen Erziehungsberechtigten zur Verfügung stehen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn wegen Erkrankung eines anderen Kindes die Betreuung des Geschwisterkindes kurzfristig nicht möglich sei.

Schwierigkeiten haben die Kitas zudem bei der Umsetzung der geforderten Eingrenzungen der Betreuungszeiten zum Infektionsschutz. Die Begrenzung auf die Zeit von 8 bis 15 Uhr aus der Anfangszeit des zweiten Lockdowns gibt es zwar nicht mehr. Doch eine Beschränkung ist für Rohloff schwierig, wegen den Arbeitszeiten der Eltern sowie der Notsituation, in der sich Familien befinden. Zwar gibt es im Wackelzahn eine Kernzeit von 8.30 bis 15 Uhr. Doch es gibt auch Eltern, die ihre Kinder ab 6.30 Uhr bringen oder bis 17 Uhr betreuen lassen. „Anders geht es nicht. Wir müssen es großzügig handhaben“, sagt der Kindergartenleiter.

Wie hoch ist die Infektionsgefahr in Kitas?

Intensiv werden im Kollegenkreis die widersprüchlichen Studien zu Gefahren einer Infektion in Kitas diskutiert. Eine Analyse der Arbeitsunfähigkeitsdaten der AOK-Mitglieder durch das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) hat die Diskussion zusätzlich befeuert. Danach sind Erziehende und Betreuende die am häufigsten in Zusammenhang mit Corona krankgeschriebene Berufsgruppe. Sie liegen noch vor den Gesundheitsberufen, die während des ersten Lockdowns an der Spitze standen.

Auch hier hält die Sozialbehörde dagegen. Sprecher Martin Helfrich: „Kitas sind nach unseren Beobachtungen nach wie vor kein Treiber des Infektionsgeschehens. Fälle, in denen es in Kitas zu Ausbruchsgeschehen kommt, sind sehr beschränkt. Die Anzahl von Kita-Beschäftigten, die aus corona-bezogenen Gründen nicht im Einsatz sind, liegen im niedrigen einstelligen Prozentbereich.“

Kita-Leiter Rohloff fordert, dass Erziehende früher als bisher geplant geimpft werden. Nach der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts werden sie in Stufe 4 geführt und sollen zusammen mit Lehrern sowie 65- bis 69-Jährigen geimpft werden. Für Unverständnis hat bei Rohloff die Reaktion von Bürgermeister Peter Tschentscher auf die Forderung der Erziehenden gesorgt, der sie rundweg abgelehnt hatte.

Kita will Familien unterstützen

Den Kontakt halten – das ist für Oliver Rohloff das oberste Gebot im Umgang mit den Familien in der Pandemie. Der von ihm geleitete evangelisch-lutherische Kindergarten „Wackelzahn“ ist eine der größten Einrichtungen in Bergedorf. Vor der Verschärfung des Lockdowns waren rund 70 Prozent der Kinder in der Betreuung. Aktuell sind es 35 bis 40 Prozent.

Der Kontakt wird hauptsächlich telefonisch gehalten. E-Mail-Kontakt ist selten. Die Eltern können sich jederzeit melden. Einmal in der Woche rufen die Erziehenden in den Familien an. Mit vielfältigen Notlagen werden sie dabei konfrontiert. Es wird dann über die aktuelle Situation gesprochen, es werden Probleme diskutiert und Tipps gegeben. Nicht in jedem Fall wollen die Eltern angerufen werden, was respektiert wird. „Es gibt Familien, in denen läuft es einfach gut“, berichtet der Kita-Chef. Die Kinder, die zu Hause betreut werden, bekommen zudem „Futter“. Das können Aktionspakete mit Spielen oder Bücher sein. Die werden von den Erziehenden nach Hause geliefert.

Wegen Corona wurden Kohorten gebildet

Eigentlich wird im „Wackelzahn“ offen gearbeitet. Bis auf Ausnahmen wie der Frühkreis und das Mittagessen in Gruppen kann sich jedes Kind aussuchen, was es machen will. Das geht unter Corona nicht mehr. Es werden Kohorten gebildet. Das mit 1,3 Hektar sehr große Grundstück macht es möglich, dass für jede Kohorte ein Bereich abgesperrt ist. Jedes Kind hat damit immer die Möglichkeit, sich draußen zu bewegen.

Zwar werden deutlich weniger Kinder in der Einrichtung betreut, aber die telefonischen Kontakte sowie die Organisation von Hilfen nehmen viel Zeit in Anspruch. Deswegen könne auch nicht davon die Rede sein, dass die Erziehenden derzeit weniger arbeiten müssten als sonst, so der Diplom-Pädagoge.

Arbeit ist belastender geworden

Im Gegenteil: Die Arbeit sei deutlich belastender geworden. Wenn sich Kontakte, wie etwa die allwöchentlichen Telefonat krisenmäßig entwickeln, haben die Erziehenden die Anweisung, das Gespräch an eine der Leitungskräfte abzugeben. So soll der Druck auf die Mitarbeitenden verringert werden. Und wenn die Erziehenden Freiraum brauchen, bekommen sie ihn. „Es gab noch nie so viel Schokolade bei uns“, berichtet der Diplom-Pädagoge.

136 Kinder werden im Wackelzahn betreut. Elf der Mädchen und Jungen sind Integrationskinder (I-Kinder), die einen erhöhten Betreuungsbedarf haben Die Kinder werden in einer Vorschulgruppe, vier Elementargruppen und zwei Krippengruppen betreut. Sie kommen etwa zur Hälfte aus Alt-Lohbrügge sowie aus sozialen Brennpunkten in Lohbrügge-Nord. Über 24 Mitarbeitende, darunter zwei Leitungskräfte, verfügt der Kindergarten. Die Kinder werden zu rund 95 Prozent mit Bio-Lebensmitteln aus der Region verköstigt. Dem Kindergarten ist eine Elternzentrum angegliedert. Dort werden nicht nur Eltern beraten. Vor Corona gab es auch ein vielfältiges Informationsangebot, das nach der Pandemie wieder aufgenommen werden soll.