Hamburg. Vor 100 Tagen stelle sich 31-Jährige der Bezirksversammlung vor. Eine Forderung: „Die SPD muss mehr und klüger kommunizieren.“

Vor 100 Tagen stellte sich Katja Kramer als Bergedorfs neue SPD-Chefin der Bezirksversammlung vor, nachdem die 31-Jährige wenige Tage zuvor von ihrer Fraktion einstimmig zur Nachfolgerin von Paul Kleszcz gewählt worden war. Im Interview spricht die hauptberufliche Chefarztsekretärin des Kinderkrankenhauses Wilhelmstift, die nebenbei Betreuerin des Fußballteams VfL Lohbrügge III ist, über neue Rollen, alte Verhältnisse und Bergedorfer Interessen.

Frau Kramer, wie sind denn die gemeinsamen Online-Ausschüsse mit Jörg Froh vom politischen Rivalen CDU?

Katja Kramer: Meinen Sie jetzt technisch oder menschlich?

Sowohl als auch. Immerhin haben sie Ihrem Nachbarn zuletzt in einer Sitzung angeboten, dass er, wenn die Leitung bei ihm in Allermöhe instabil ist, in ihrem Wohnzimmer vorbei kommen könnte.

Jörg Froh ist jemand, mit dem ich gern zusammenarbeite, mit dem ich mich menschlich super verstehe und auch über Dinge abseits der Politik spreche.

Gibt es auch Kollegen aus der Bergedorfer Politik und Bezirksversammlung, die Sie niemals zu sich nach Hause einladen würden?

Natürlich, zum Beispiel die Abgeordneten der AfD, weil es mit ihnen keine Schnittmengen gibt.

Sind denn überhaupt Absprachen mit dieser Fraktion möglich?

Im Ältestenrat ist die AfD dabei, wenn es darum geht, wie wir aktuell Sitzungen gestalten.

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP formierte sich ja nach den Bezirkswahlen 2019. CDU und Linke finden es schade, dass es die sogenannten Bergedorfer Verhältnisse, also Absprachen aller relevanten Fraktionen vor Sitzungen, nicht mehr gibt. Warum ist die Koalition so wenig gesprächsbereit?

Wir hatten hier diese Tradition, und ich wollte sie zunächst gern weiterführen. Aber: Es gab in all den Jahren der Bergedorfer Verhältnisse dieses typische Oppositionsverhalten gerade der CDU nach dem Motto: „Ich bin Anti, weil dieser und jener Antrag von Grünen oder SPD kommt.“ Da ging es nicht mehr um die Sache. So kann keine effektive Zusammenarbeit in wichtigen Fragen für Bergedorf herauskommen. Deshalb sind wir in die Koalition eingetreten, um Eckpfeiler der Bergedorfer Politik wie zum Beispiel die Entwicklung Oberbillwerders abzusichern. Wir möchten die Planungshoheit dafür im Bezirk halten, das wäre mit Fortführung der Bergedorfer Verhältnisse nicht möglich gewesen.

Also ist diese Antihaltung so stark, dass es gar keine zielführenden Gespräche mit der Opposition mehr gibt?

Es gibt auch jetzt noch einen Austausch zwischen Koalition und Opposition, auch wenn dieser nicht regelmäßig in einem gemeinsamen Antrag endet.

Welche gemeinsamen Anträge gibt es denn?

Dove-Elbe, Internetversorgung im Landgebiet und einige Verkehrsthemen zum Beispiel. Es ist ein Geben und Nehmen. Aber für mich war immer wichtig, und das habe ich auch während meiner ersten Bezirksversammlung im Oktober 2020 als SPD-Fraktionschefin in Richtung der CDU deutlich gemacht, wie einer mit mir redet. Wenn man mit mir in keinem ordnungsgemäßen Ton spricht, dann habe ich keine Lust, mich mit der anderen Seite auseinanderzusetzen.

Dabei gehörten doch die Rededuelle ihres Vorgängers Paul Kleszcz mit dem CDU-Pendant Sven Noetzel zu Klassikern im Rathaussaal.

Mir geht es darum, was ich politisch für den Bezirk für klug halte und umsetzen kann. Alles andere entspricht nicht meiner Persönlichkeit und meinem Anspruch.

Wie ernsthaft kann man Politik als liebstes Hobby betreiben, wenn es um Bergedorfer Interessen geht?

Ich werde ganz häufig gefragt: „Wo ist Ihr Büro, und wann kann ich Sie dort erreichen?“ Ein eigenes Büro habe ich jedoch nicht. Unsere Bezirksfraktion hat ein Fraktionsbüro, welches uns Abgeordnete sehr viel unterstützt. Ich selbst sitze zu Hause in meinem Arbeitszimmer und engagiere mich nach meinem Hauptjob ehrenamtlich in meiner Freizeit, abends und an den Wochenenden. Was ich damit sagen möchte: Ich sehe mich auch als „einfache“ Bergedorferin. Wenn sich jemand über die Parkplatzsituation in Boberg, die Straßenbaumaßnahmen am Sander Damm oder die Sandanlieferung für Oberbillwerder beschwert, dann ist das für mich als Anwohnerin des Mittleren Landwegs ebenso belastend. Wir sind gewählt worden, um Bürgern eine Stimme zu verleihen. Deswegen nehme ich mich selbst aber nicht wichtiger.

Wie waren ihre ersten 100 Tage als SPD-Fraktionschefin?

Die größte Umstellung war, dass ich jetzt diejenige bin, die am Ende in vorderster Front steht. Jetzt klingelt mein Telefon, und ich muss Entscheidungen treffen. Aber ich konnte mich, vor allem Dank der sicheren Unterstützung meiner Fraktion, gut in die neue Rolle einfinden.

Welche Qualität bringen Sie in ihrer neuen Rolle nun stärker ein?

Meine große Stärke ist, dass ich flexibel und wenig eingeschossen auf bestimmte Meinungen bei einem Thema bin, auch kann ich gut auf spontane Situationen reagieren und auf Menschen zugehen. Am Ende verstehe ich mich als diejenige, bei der alle Fäden zusammenlaufen und die dann aus Ideen und Argumenten eine Gesamtidee erstellt.

Sind Sie jetzt in der neuen Funktion während der Versammlungen angespannter als früher?

In den Sitzungen selber schon, weil immer Unvorhergesehenes in der Debatte passieren kann, dies nehme ich selbst aber nicht als negativ wahr. In meiner Fraktion weiß ich um ausreichenden Rückhalt.

Hat den Olaf Scholz, Kanzlerkandidat der SPD, in den Reihen der Bergedorfer Genossen auch?

Ich mag Olaf Scholz sehr, weil er sehr auf der Sachebene agiert. Bei Scholz weiß ich, dass er die Kanzlerschaft auf eine angemessen emotionale und strategische Art ausfüllen würde. Ein guter Kandidat!

Sind Chancen für ihn da?

Ja, wenn wir kommunizieren, was für eine gute Arbeit wir leisten. Die CDU verkauft sich nach außen besser, obwohl vieles nicht ihre Idee und Umsetzung war.

Wie würde Katja Kramer dieses Defizit beseitigen?

Klüger und mehr kommunizieren. Als bestes Beispiel dafür sehe ich Metin Hakverdi, der leistet als Bundestagsabgeordneter wirklich gute Arbeit für seinen Wahlkreis und den Bezirk Bergedorf.