Neuallermöhe. Ungezählte Jugendliche haben Sozialarbeiter Alexander Gaal sehr viel zu verdanken. Sein eigener Lebensweg ist abenteuerlich.

Diesen Lebensweg wird ihm keiner nachmachen (wollen). Vom Landwirt zum kleinen Bürgermeister, zum kommunistischen Parteifunktionär bis zum ungewollten Asylbewerber und Schwarzarbeiter. Dass Alexander Gaal nun als glücklicher Mann in Rente geht, ist vor allem seiner sozialen Ader zu verdanken. In Neuallermöhe ist er seit 1997 nicht wegzudenken – als Straßensozialarbeiter, Fußballtrainer und als Freund.

So steht es im Pass: Geboren vor 66 Jahren in Tadschikistan an der Grenze zu Afghanistan, als Sohn eines Deutsch-Lehrers. Die Mutter, eine Wolga-Deutsche, arbeitete in einer Holzfabrik. Seine Schulzeit verbrachte Alexander Gaal indes in Kasachstan, wohin die Familie 1956 umsiedelte. Auf das Studium der Agrar-Ökonomie folgte die Armeezeit. „Anschließend war ich Vorsitzender einer Sowchose, also einem landwirtschaftlichen Großbetrieb in Staatsbesitz. Da war ich wie ein kleiner Bürgermeister für einfach alles zuständig, für Holz und Wasser, für Viehfutter und die ganze Ernte.“ Also für die Versorgung von etwa 1800 Menschen, die mitten in der Steppe in 600 Häusern lebten – 35 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Es galt, 32.000 Hektar zu bewirtschaften, „wir hatten allein 2500 Stück Vieh, vor allem Milchkühe und Ochsen“.

1955 landete die Familie in einer Unterkunft in Lohbrügge

Doch dann lockte ihn die Politik: Erst wurde er Partei-Sekretär für die Kommunistische Partei, dann Vize in der Landwirtschaftsabteilung in West-Kasachstan, erzählt Gaal. Als schließlich die Sowjetunion auseinanderfiel, standen mit Beginn der Perestroika die Zeichen anders: „Ich habe die Wahl mit nur einer Stimme gegen einen Kasachen verloren und musste in die zweite Reihe zurücktreten. Da bin ich lieber mit meiner Frau und den drei Kindern nach Deutschland gegangen.“

1995 landete die Familie in einer Unterkunft in Lohbrügge, im „Hirtenland“. Doch er bekam weder einen Deutschkursus noch eine Arbeitserlaubnis: „Mein Vaterland hat mich nicht als Spätaussiedler anerkannt. Das hat mich sehr beleidigt und getroffen.“

In kleinen Schritten ging es weiter, denn in der Unterkunft gründete er seine erste Fußball-Mannschaft. Es folgte Gartenarbeit gegen Deutschunterricht. Und Schwarzarbeit für eine Reinigungsfirma. Bis Lukas Modler vom Internationalen Bund (IB) auf Alexander Gaal aufmerksam wurde, ihn für ein Pilotprojekt einstellte: 1997, gerade hatte Gaal in Neuallermöhe den Fußballverein „Atlantik '97“ gegründet, gab es Probleme mit gut 100 Jugendlichen, die sich abends am Edith-Stein-Platz herumtrieben. Drogen, Wodka und blutige Nasen standen auf der Tagesordnung. „Da haben sich russische und polnische Jugendliche mit den Türken geprügelt. Ich sollte wie eine Feuerwehr zum Löschen kommen. Und habe es Stück für Stück geschafft“, sagt der unverhoffte Sozialarbeiter nicht ohne Stolz.

Die Kinder und Jugendlichen von der Straße geholt

Internationale Fußballturniere, Kooperationen mit Schulen und Kitas folgten. Und viele Gespräche mit der Ausgangsfrage: „Was willst Du wirklich?“ Zuletzt trafen sich allabendlich bis zu 15 Jugendliche zum Billard- und Dartspiel in dem Container, der am S-Bahnhof Allermöhe stand. „Ganz langsam haben die russischen Jugendlichen ihren Platz unter der Sonne gefunden. Dabei hat auch der Verein Atlantik geholfen, denn wir haben oft ein Auge zugedrückt, wenn ein Spielerpass fehlte und die Jungs nicht versichert waren. Hauptsache, sie waren von der Straße weg“, erzählt der Sozialarbeiter, der 2012 zudem den „Verein für internationale Kinder- und Jugendarbeit in Bergedorf“ gründete.

Unzählige Projekte brachte er an den Start, Nachtwanderungen, Osterfeuer und Stadtteilfeste, betreute seit 2014 den „Sportplatz 2000“, wo auch das russische Wurfstock-Spiel Gorodki in Mode kam. Von 1997 bis 2016 blieb Gaal beim IB, bis wieder schwere Zeiten folgten: Er erlitt zwei Herzinfarkte, wurde oft operiert und musste überdies ein tragisches Unglück überstehen: 2018 ertrank sein ältester Sohn mit 38 Jahren in der Ostsee.

Frühere Schützlinge begegnen ihm mit großem Respekt

Trotz angezogener Handbremse war ans Aufhören nicht zu denken: Ein Glück, dass „Sprungbrett“ im selben Jahr einen Sozialarbeiter für die geflüchteten Jugendlichem am Gleisdreieck suchte. Hier gibt es heute ein Gartenhaus, eine Puppen- und Holzwerkstatt, zudem trainiert ein Mädchenfußballteam. „Da will ich weiter ehrenamtlich aushelfen, auch in der Fahrrad-Werkstatt am Sportplatz 2000“, beteuert Gaal, der sich außerdem um seine zehn Enkel im Alter zwischen zwei und 24 Jahren kümmern will.

Nicht zuletzt bleibt die Jugendarbeit von „Atlantik '97“, der heute gut 400 Mitglieder zählt, nicht ohne seine Unterstützung. „Ich kannte sie schon als Zehnjähriger, heute spiele ich mit 35 Jahren noch immer Fußball“, bedankt sich ein junger Vater, der Respekt und Offenheit schätzt: „Sie haben unglaubliche Arbeit geleistet.“ Solche Texte würde Alxander Gaal, der inzwischen in einer betreuten Seniorenwohnung in Boberg lebt, niemals auf seinem Handy löschen. Doch er betont immer wieder, dass all das nur im Team gelingen konnte: „Ich bin dankbar all den Leuten, die an mich geglaubt haben.“