Bergedorf. Ein Schöffe trug eine Corona-Schutzmaske und saß mit Sicherheitsabstand in einer Ecke – Verstoß gegen Vermummungsverbot?
Drei Stunden lang verhandelte das Hamburger Landgericht am Freitag gegen den 20-jährigen Samun M., dem der Staatsanwalt versuchten Mord und Rauschgifthandel in großem Stil vorwirft. Doch das eigentliche Prozessthema kam an diesem dritten Verhandlungstag mit keinem Wort zur Sprache, nicht eine einzige Frage wurde an den Angeklagten gestellt. Stattdessen zermürbten sich die beiden Verteidiger und der Vorsitzende Richter mit immer neuen Anträgen zur Prozessführung, Ablehnungen dieser Anträge und lautstarken Wortgefechten, die zeitweise in wechselseitiges Anschreien ausarteten.
„Mundschutz des Schöffen verstößt gegen Vermummungsverbot“
Laut Anklageschrift soll Samun M. am 30. Mai dieses Jahres neunmal auf einen Konkurrenten aus der Bergedorfer Rauschgiftszene geschossen und ihn mit drei Treffern lebensgefährlich verletzt haben. Die Schüsse waren die Rache dafür, dass der Konkurrent Samun M. gemeinsam mit einem unbekannten Mittäter einige Wochen zuvor bei einer fingierten Rauschgiftübergabe niedergeschlagen und ihm 40.000 Euro geraubt hatte. Der Schütze wurde schon am nächsten Tag festgenommen und sitzt seitdem in Untersuchungshaft.
Gleich zu Beginn der Verhandlung beantragte Verteidiger Dr. Florian Melloh die Verlegung des Prozesses in einen größeren Saal. Der Grund: Einer der Schöffen trug eine Corona-Schutzmaske und saß wegen des nötigen Sicherheitsabstands in einer Ecke des Raums, teilweise verdeckt durch die Protokollführerin. „Ich muss eine ungehinderte Sicht auf alle Mitglieder des Gerichts haben“, argumentierte der Anwalt. Außerdem störte ihn die Maske des Schöffen, sie verstoße gegen das Vermummungsverbot im Gerichtssaal. In einem größeren Saal könne der Schöffe bei ausreichendem Sicherheitsabstand für alle Prozessbeteiligten frei sichtbar sein, so der Anwalt. Der Antrag wurde ebenso wie zahlreiche weitere Anträge abgelehnt.
Prozess verschleppt? Zeuge wurde nach Hause geschickt
So schleppte sich die Sitzung ohne greifbares Ergebnis über drei Stunden hin. So lange hatte ein Zeuge im Gerichtsflur warten müssen, er wurde nach Hause geschickt und muss nun erneut geladen werden. Ein konkreter Punkt wurde dann doch noch kurz angesprochen: Als 20-Jähriger kann Samun M. sowohl nach dem Erwachsenen- als auch nach dem Jugendstrafrecht verurteilt werden.
Ein Vertreter der Jugendgerichtshilfe war an den bisherigen Verhandlungstagen ebenfalls anwesend. Auch von seiner Beurteilung hängt es ab, ob das Gericht den Angeklagten als Jugendlichen oder mit einer deutlich härteren Strafandrohung als Erwachsenen behandeln wird. Ein Urteil ist erst im März 2021 zu erwarten.