Hamburg. Es gibt viele Gründe, im Alltag plötzlich auf einen gesetzlichen Betreuer angewiesen zu sein. In Bergedorf gibt es 40 Berufsbetreuer.

Schickes Anwesen, reichlich Geld und ein Schließfach: Üppig hatte er sich das Vermögen vorgestellt, dass er von seinem verstorbenen Bruder aus dem Bergedorfer Villengebiet erben könnte. Plötzlich stand der Mann bei Martina Pfab im Büro am Weidenbaumsweg: „Ich wusste gar nicht, dass mein Klient einen Bruder hatte, die beiden hatten offenbar 30 Jahre lang keinen Kontakt“, erzählt die öffentlich bestellte Betreuerin.

Der Fremde freute sich über seinen neuerlichen Reichtum – bis er die Kontoauszüge einsah. Pfab: „Er war nachträglich nicht einverstanden damit, dass der demente Herr zweimal wöchentlich Besuch vom Sozialdienst bekommen hatte. Mit dem konnte er erzählen und über den Bergedorfer Markt spazieren, das tat ihm doch gut.“

Gesetzliche Betreuer haben vielfältige Aufgaben

Oft tun sich tiefe Einblicke in die menschliche Seele auf. Da gibt es die traurige Geschichte von der betrügerischen Nichte. Oder von den Geschwistern, die sich nicht einigen können, „weil die sich kümmernde Schwester angeblich zuviel Geld von Mutters Konto abhob“, weiß Martina Pfab. In solchen Streitfällen kann man sich an das Bergedorfer Amtsgericht wenden. Auch, wenn die Sorge besteht, dass ein Nachbar oder ein entfernter Angehöriger sich nicht mehr gut um sich selbst kümmern können. Das Gericht schaltet dann die Hamburger Betreuungsstelle ein, die wiederum den Klienten besucht, ein ärztliches Attest einsieht – und eben einen passenden Berufsbetreuer vermittelt. Der wird dann wiederum vom Amtsgericht beauftragt.

Nach der Hirnblutung schnell die Mediziner unterstützen

Die hilfsbedürftigen Menschen sind geistig oder körperlich behindert. Verantwortung und Vertrauen müssen also im Vordergrund stehen, wenn die derzeit 40 Bergedorfer Berufsbetreuer ihren Dienst tun, sich jeder um bis zu 50 Menschen gleichzeitig sorgt. „Ich betreue gerade einen 64-Jährigen Bergedorfer, der beim Einkaufen einen Hirnblutung erlitten hat und seither im Krankenhaus im Koma liegt“, erzählt Bettina Sommerbeck. Da auf die Schnelle keine Verwandten zu finden waren, musste die 45-Jährige mit Ärzten reden und medizinische Eingriffe bewilligen. Wie macht man das für einen Unbekannten? Was würde er wollen?

Beim Einkauf hatte der Mann Kontokarte, Ausweis und einen Schlüsselbund dabei. „Also bin ich mit einem Kollegen zur Wohnung gefahren, habe nach einer Patientenverfügung und einer Vorsorgevollmacht gesucht, mir einen ersten Eindruck von dem Lebensstil des Mannes verschafft. Wer etwa zu den Zeugen Jehova gehört, lehnt eine Bluttransfusion ab“, weiß Sommerbeck, die eine Ausbildung als Rechtsanwaltsfachangestellte hat.

Ist der Klient vielleicht ein Zeuge Jehova?

Die Aufgabe erfordert seelische Ausgeglichenheit. Mal müssen wegen zigtausend Flöhen eines verstorbenen Hundes in einem Lohbrügger Haus Kammerjäger bestellt werden. Mal fanden sich ungesicherte Waffen bei einer verstorbenen Sportschützin. „Einer wollte mal bei mir Feuer legen, der hat allerdings eine psychotische Schizophrenie“, erinnert Martina Pfab.

Die 55-Jährige hat zuvor 30 Jahre lang in der Pflege gearbeitet, zuletzt als Wohngruppenleiterin in Bergedorf. Seit sechs Jahren nun ist sie selbstständig als rechtliche Betreuerin – und ist oft mit Gummistiefeln und Wechselwäsche unterwegs. Zuletzt bei der Messie-Dame (86), deren Mann gestorben war. „Sie wollte das nicht wahrhaben und dachte, er würde mit einer anderen Frau fremdgehen. Ich konnte eine soziale Erdbestattung organisieren. Jetzt sieht sie Fotos der Grabstelle, kann es begreifen, es verinnerlichen.“

Längst nicht jeder versteht die Aufgaben eines gesetzlichen Betreuers: „Sie klauen mir meine Rente“, wetterte jüngst ein verwirrter Boberger. Noch bis 1992 gab es das Vormundschaftsrecht, wurden die Klienten tatsächlich entmündigt. Seither bestimmt das Betreuungsrecht, dass zum Wohl und Willen des Klienten entschieden werden muss. „Und das Gericht hat ein Auge auf uns. Einmal jährlich geben wir Bericht ab und zeigen sämtliche Belege“, betonen die beiden und wollen auch nicht unerwähnt lassen, dass sie in ihrem Netzwerk auch mit der Polizei und der Bethesda-Klinik gut zusammenarbeiten.

Die junge Nachbarin hatte die Pin-Nummer vom Konto

Jeder ihrer Tage sieht anders aus: Mal muss ein Haus verkauft werden, dann gibt es Gespräche mit Banken („manche wissen gar nicht, dass der Klient trotz Betreuung sein eigenes Geld abheben darf“), mit Behörden, Versicherungen oder Rententrägern. Geprüft werde stets genau: Da fehlten immer mal 40 Euro bei einem Senior: „Erst auf Nachfrage gestand er, dass seine 35-jährige Nachbarin die Pin-Nummer habe . . . weil er sich mal einsam fühlte“, sagt Sommerbeck.

Kollegin Pfab rannte schon mit einem Gutachter hinter einem psychisch Kranken her und fand ihn kauernd an einer Mülltonne: „Da war ich schon froh, dass wir den Zuführdienst vom Hamburger Ordnungsdienst rufen konnten.“ Verwahrloste und Alkoholkranke, Vergewaltigte und Traumatisierte zählen zu den täglichen Herausforderungen, auch der 18-jährige Drogenabhängige, der zum Glück eine Entzugstherapie akzeptierte. Pfab: „Er holt sich wöchentlich 80 Euro ab und ist jetzt schon länger clean. Das ist ein kleines Erfolgserlebnis.“

Betreuerinnen haben ihre Berufung gefunden

Auch freuen sich die Berufsbetreuer, wenn die „minderbegabte“ 24-Jährige nicht mehr überfordert ist, inzwischen vorbildlich und liebevoll mit ihrem Kind umgeht. Wenn sie für den Obdachlosen nach einem Unfall eine Wohnung finden können. Wenn die 93-Jährige aus dem Pflegeheim zurück nach Hause darf, weil sie hausärztlich versorgt wird, Mittagessen geliefert bekommt und endlich einen Pflegedienst akzeptiert – „aber nur, wenn bitte niemand vor 11 Uhr kommt“.

Die Betreuerinnen haben ihre Berufung gefunden. Pfab: „Es ist toll, wenn man Menschen ein Stückchen in ihr altes, selbstbestimmtes Leben zurückbringen darf und sie ihren gewohnten Lebensstil mit Unterstützung fortführen können.“ Sie verwalten Leben, bestätigt Bettina Sommerbeck: „Wir sind die Menschen im Hintergrund, die das Sprungtuch aufhalten, sollte jemand stolpern auf dem Drahtseil, das sich Leben nennt.“

  • Berufsbetreuung:

Bislang gibt es keine eigenständige, bundesweit anerkannte Aus- oder Weiterbildung zum Berufsbetreuer. Aktuell wird ein Gesetzentwurf zur Reform des Betreuungsrechts diskutiert, um unter anderem Berufsqualifikationen festzulegen, die eine Sachkunde „unwiderlegbar vermuten“ lassen. Dies begrüßt auch der Bundesverband der Berufsbetreuer (BdB), der seine Stellungnahme am 16. Dezember im Rechtsausschuss des Bundestages vorlegen will, so der Vorsitzende Thorsten Becker.

Berufsbetreuer ist, wer mehr als zehn Betreuungen führt oder sich mindestens 20 Wochenstunden für Menschen einsetzt, die ihre rechtlichen und persönlichen Angelegenheiten nicht selbst besorgen können. Lebens- und Berufserfahrung sowie Einfühlungsvermögen sind unabdingbar, um Betreuten zu helfen, ihre Selbstbestimmung und Menschenwürde in den Vordergrund zu stellen. Erwartet werden juristische und medizinische Grundkenntnisse sowie ein Überblick über Möglichkeiten der Rehabilitation.