Bergedorf. Neues Angebot in einer Bergedorfer Praxis: Tanja Witt fühlt schon sechs Millimeter kleine Knoten.
Tanja Witt hat nur zehn Prozent Sehkraft. Aber die 47-Jährige kann durch eine zentimeterdicke Schaumstoffmatte Würfelzucker, Erbsen, Steine und sogar Knetmasse ertasten. Ein Ausnahmetalent, das die Wentorferin zu einem außergewöhnlichen Beruf brachte: Tanja Witt steht kurz vor dem Abschluss als Medizinisch-Taktile Untersucherin (MTU). Ab 19. Oktober wird sie montags Brustkrebs-Früherkennung beim Bergedorfer Frauenarzt Dr. André Motamedi anbieten.
„Ist ein Tumor bei seiner Entdeckung kleiner als zwei Zentimeter, liegen die Überlebenschancen deutlich über 90 Prozent. Eine MTU wie Tanja Witt erspürt Gewebeveränderungen schon ab sechs Millimeter Größe“, sagt André Motamedi. Das liege deutlich unter den 1,5 Zentimetern, die Ärzte bei den Routineuntersuchungen entdecken. Weil jede achte Frau an Brustkrebs erkranke, „gehört es für mein Selbstverständnis als Arzt, eine so umfassende Vorsorge anzubieten“.
Bei Selbstzahlung werden 46,50 Euro fällig
Zudem schließt sie eine Versorgungslücke: Herkömmliche Brustkrebsuntersuchungen zahlen Krankenkassen nur vom 50. bis 70. Lebensjahr. Der Einsatz einer MTU wird auch darüber hinaus von vielen Kassen schon übernommen. Bei Selbstzahlung werden 46,50 Euro fällig für rund eine Stunde, die sich Tanja Witt für jede Patientin Zeit nimmt. Dazu gehört ein Gespräch über den allgemeinen Gesundheitszustand sowie das komplette Abtasten von Brust, Hals und Achseln in einer besonderen Kreiseltechnik. Der Oberkörper wird dann mit rot-weißen Mess-Streifen beklebt, um verdächtige Knoten genau zu lokalisieren. Wird etwas entdeckt, schließt sich direkt eine Ultraschall-Untersuchung durch den Arzt an.
Dr. Motamedi ist nach Dr. Roxana-Gabriela Anghel in Neuallermöhe der zweite Frauenarzt im Bezirk mit einem solchen Angebot. Die MTU leihen sie sich bei der „discovering hands GmbH“ aus.
Tumor wächst einen Millimeter pro Monat
Ein Brustkrebs-Tumor wächst laut medizinischer Studien durchschnittlich einen Millimeter pro Monat. Bleibt er zwei Jahre unerkannt, überschreitet er mit zwei Zentimetern Durchmesser eine Größe, ab der die Überlebenschancen deutlich schrumpfen. „Perfekt wäre alle sechs Monate eine Vorsorgeuntersuchung. Am besten im Wechsel von Ultraschall durch den Arzt und dem Abtasten durch eine Medizinisch-Taktile Untersucherin, kurz MTU“, sagt der Bergedorfer Frauenarzt Dr. André Motamedi. In seiner Praxis an der Straße Hinterm Graben startet nach den Herbstferien am 19. Oktoberin die MTU Tanja Witt (47).
Es ist die zweite hochsensible Abtasterin in Bergedorf und die fünfte in ganz Hamburg. Die MTU leihen die Ärzte für die Einsätze in ihren Praxen zu festen Wochentagen bei der „discovering hands GmbH“ quasi aus. Dort sind die Frauen fest angestellt und sie sorgt in ihrem Berliner Schulungszentrum auch für die zehnmonatige Ausbildung der Frauen, die einen ungewöhnlich guten Tastsinn haben.
Jobs gehen gezielt an hochgradig sehbehinderte Frauen
Die Initiative wurde vor zehn Jahren vom Frauenarzt Dr. Frank Hoffmann aus Nordrhein-Westfalen ins Leben gerufen, der heute Geschäftsführer von „discovering hands“ ist. Derzeit sind rund 50 MTU bei der GmbH angestellt, die bundesweit per sogenannter „Arbeitnehmerüberlassung“ an die Arztpraxen vermittelt werden. Schwerpunkt ist Nordrhein-Westfalen. Ziel der Initiatoren ist es, die Zahl der ausgebildeten Tasterinnen bis 2022 auf 100 zu verdoppeln.
Die Jobs gehen gezielt an hochgradig sehbehinderte Frauen wie Tanja Witt: „Mit meiner Sehschwäche hatte ich viele Probleme im Berufsleben. Dann hat mir das Jobcenter für Schwerbehinderte die Ausbildung zum MTU vorgeschlagen. Ich habe endlich den für mich perfekten Beruf gefunden.“