Lohbrügge. Seit 2012 führt Sadik Kalender das Ladenbeker Stübchen an der Krusestraße in Lohbrügge. Er wird von seinen Stammkunden geliebt.

Braune Resopaltische, Plastikblümchen, ein Geldspiel-Automat und frisches Holsten vom Fass: Das „Ladenbeker Stübchen“ hat eben alles, was man sich von der Raucherkneipe „ums Eck“ wünscht. Und dazu diese familiäre Atmosphäre auf 70 Quadratmetern, die nicht nur die Stammkunden zu schätzen wissen. „Hätte früher nie geglaubt, dass ich mal nachmittags schon Bier trinke, aber das ist eine richtige schöne Kiez-Kneipe hier. Mein Hund wird verwöhnt, und man findet immer jemanden zum Quatschen“, schwärmt Dennis, der erst vor zwei Jahren von Sylt über Ahrensburg nach Bergedorf gezogen ist: „Ich bin hier sowas von herzlich aufgenommen worden.“

Das liegt auch an Silke und Evi, die den Laden an der Krusestraße 64 werktags ab 12 Uhr schmeißen. Dann kommen die Hauni-Rentner zum Skat kloppen. Beinahe täglich düst auch der 93-jährige Erich auf seinem E-Bike vorbei. Der Boberger ist wohl der älteste Gast, bestellt immer einen Kaffee und einen Kümmel. Der Bestatter und der Kirchenmann kommen ebenso aus der Nachbarschaft wie Bauer Fiete, Blumenhändler Eddy, Mensa-Köchin Moni und Lkw-Fahrer Thomas. Sie lieben vor allem ihren Sparclub, in dem sie für die große Weihnachtssause sammeln. Oder für die Silvesterpartys, bei denen jeder etwas mitbringt. Neujahr gibt es traditionell Gulaschsuppe. Kleingeld klingelt im Spendenschiffchen, das auf dem Tresen steht und so hübsch altmodisch für die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sammelt.

Kalender steht jeden Abend ab 18 Uhr hinterm Tresen

Dass „der Neue“ mit den geliebten Traditionen brechen könnte, war eine latente Befürchtung, als Sadik Kalender Anfang 2012 das „Ladenbeker Stübchen“ übernahm und seither jeden Abend ab 18 Uhr hinterm Tresen steht. Dass er zudem seit zehn Jahren keinen Alkohol trinkt, sorgte auch erstmal für Stirnrunzeln. „Ich kenne doch den Geschmack und kann jeden Schnaps verkaufen“, sagt der 51-Jährige lachend.

Nein, er hat nicht alles verändert, bloß eine Wand rausgenommen, damit Platz ist für die zweite Dart-Scheibe. Denn nicht nur die „Ladenbeker Garde“, die „8 Fragezeichen“ und die Darter vom „Holsten-Eck“ am Weidenbaumsweg tragen ihre Turniere aus. „Wir sind jetzt hier fünf Mannschaften“, sagt Sadik, selbst Mitglied des „LSD-Teams“ – die Ladenbeker-Stübchen-Darter. Und weil er mit ihnen oft bis Mitternacht trainiert, kennt der Billstedter auch kaum eine andere Ecke von Bergedorf – „bloß die Kneipen, weil wir auch mal Punktspiele auswärts in Geesthacht, Bergedorf und Lauenburg haben“.

Im Heimatdorf hilft er bei der Pistazien-Ernte

Das ist fast schon eine große Reise für einen, der aus einem kleinen Dorf stammt. Dessen Name klingt wie eine Mischung aus Yoghurt, Wasser und Salz: „Ayran liegt etwa 50 Kilometer von Syrien entfernt und hatte mal 5000 Einwohner, heute sind es höchstens noch 2000“, berichtet Sadik Kalender, der dort mit vier Brüdern und einer Schwester aufwuchs. Die Eltern sind Analphabeten. Und Bauern. „Sie haben 1000 Pistazien- und Olivenbäume. Immer im August helfe ich beim Pflücken. Das ist harte Arbeit bei 50 Grad von morgens 6 Uhr bis Sonnenuntergang.“

Seine Mutter, heute 85 Jahre alt, versteht kein Wort Türkisch, „aber Kurdisch zu sprechen, war uns offiziell verboten“, erzählt Sadik, der nach der Schule 18 Monate beim Militär diente und eine Ausbildung zum Elektriker machte. „Da habe ich Strom- und Wasserleitungen verlegen gelernt.“ Und genau das kam ihm zugute, als er seinem Bruder 1995 nach Hamburg folgte. Denn im ersten Job waren handwerkliche Fähigkeiten gefragt – auch in 80 Metern Höhe: „Ich war bis 2010 bei der Gebäudereinigung im Bunker an der Feldstraße. Fahrstuhl, Flure, Büros und Treppenhäuser mussten sauber sein.“ Im Gegensatz zu seiner Heimat sei es da allerdings sehr kühl zwischen den 1,50 Meter dicken Mauern aus Stahlbeton.

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Der erste Job zwischen 1,50 Meter dicken Mauern

„Komm zu mir, Kneipenwirt kannst du lernen“, meinte dann plötzlich Bruder Salih, der die Gastwirtschaft „Am Hochhaus“ führte. So wechselte Sadik an den Ladenbeker Furtweg. „Aber nach eineinhalb Jahren hat die Bille den Vertrag nicht mehr verlängert, da mussten wir raus.“ Und so passte es trefflich, dass nur weniger Hundert Meter weiter der Wirt aufgeben wollte, der seit 1996 das „Ladenbeker Stübchen“ betrieb. „Ich habe erstmal an drei Tagen die Woche ausgeholfen und die Stammkunden kennengelernt“, erinnert der 51-Jährige seinen Start als Kneipier.

Und das ist bis heute ganz schön anstrengend. Seine Ehe jedenfalls ging nach acht Jahren in die Brüche – auch, weil seine Frau Heimweh hatte. „Jetzt lebt sie mit unserer zwölfjährigen Tochter in der Türkei. Und ich bin alleinerziehend mit dem 15-Jährigen. Da bin ich tagsüber halt für Einkauf, saugen und die Wäsche zuständig, den ganzen Haushalt eben.“

Kalender musste Corona-Hilfen beantragen

Da müssen Silke und Evi schmunzeln. „Aber deshalb ist er so wunderbar familiär. Und wenn er lacht, sieht er aus wie Adriano Celentano.“ Naja. Italiener kommen zwar nicht oft ins „Stübchen“, aber junge Polen oder auch dieser nette Typ aus Gambia. „Wir haben ihn mal mit fünf Dart-Freunden in seinem stromlosen Heimatdorf besucht und wurden bei den Eltern bedient wie die Könige. Aber genießen konnte ich das Essen nicht, weil uns 40 hungrige Kinder zuguckten. Da kann man leider nicht allen helfen“, erinnert sich Sadik Kalender.

Er selbst freut sich, dass er von seiner Kneipe gut leben kann – obwohl er jetzt Corona-Hilfe beantragen musste. Und wenn mal ein bisschen Geld übrig wäre? „Dann würde ich neue Stühle kaufen und den 40 Jahre alten Tresen ersetzen“, meint Sadik – und kann sich sicher sein, dass seine Stammkunden diesmal keine Angst mehr vor Neuerungen hätten.