Boberg. Boberg. Das Unfallkrankenhaus in Boberger hat Abläufe und Geräte verbessert, um kontaminierte Patienten aufnehmen zu können.
Es gibt so viele Szenarien des Schreckens. Ein Arbeitsunfall in einer Fabrik, in der mit hochgiftigen Stoffen gearbeitet wird. Ein mit Chemikalien beladener Lastwagen, der verunglückt. Ein Reaktorunfall. Oder ein Terrorakt, bei dem Menschen mit chemischen Stoffen in Berührung kommen. Auf all das, und damit auf Patienten, die eventuell kontaminiert in die Kliniken gebracht werden, hat sich das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus Hamburg-Boberg nun besser vorbereitet: Die Klinik hat ihre Abläufe und Geräte optimiert, kann nun nach mehreren Umbauten theoretisch bis zu 25 Patienten stündlich durch eine Dekontaminationsschleuse bringen. Und wie gut das klappt, soll bald eine spektakuläre Übung zeigen.
Äußere Kontaminationen sind selten
Zum Glück: Patienten mit äußeren Kontaminationen – also giftigen oder gefährlichen Stoffen am Körper – werden nur sehr selten in Kliniken eingeliefert. „Gerade in der chemischen Industrie sind die Unternehmen bei Mitarbeiterunfällen gut aufgestellt und haben eigene Dekontaminationsstationen“, sagt Dr. Stefan Lönnecker, Chefarzt der Abteilung für Anästhesie, Intensiv-, Rettungs- und Schmerzmedizin in Boberg. Auch die Berufsfeuerwehr Hamburg ist gut gerüstet.
Dennoch kann es Szenarien geben, bei denen ein Verletzter in eine Klinik transportiert wird, ohne dass er oder die Helfer zunächst ausreichend von den Gefahren wissen. Etwa, wenn ein Lkw-Fahrer Giftstoffe transportiert hat, über die er selbst nicht viel weiß oder mit denen er nur zufällig in Kontakt gekommen ist. Dann wird vielleicht erst im Krankenwagen deutlich, dass der Patient nicht nur selbst in Gefahr ist, sondern überall weitere Anhaftungen hinterlassen hat – und andere Menschen gefährden kann. Manchmal fallen Kontaminationen auch erst sehr viel später auf. „Und dann muss mühsam herausgefunden werden, mit welchen Menschen und Orten der Patient bereits Kontakt hatte“, sagt Chefarzt Lönnecker.
Chemikalien wie Flusssäure sind hochgefährlich
Immer mehr Kliniken möchten, auch wegen der gestiegenen Terrorgefahr, auf solche Patienten vorbereitet sein. Denn werden Verdachtsfälle angeliefert, sollen sie nicht erst das ganze Krankenhaus durchlaufen müssen. Schließlich gibt es Chemikalien, die schon in kleinsten Mengen verheerende Wirkungen haben können – wie etwa Flusssäure, die unter anderem in der glasverarbeitenden Industrie zum Einsatz kommt. Sie wurde durch Kriminelle bereits mehrfach, ähnlich wie Graffiti, an S-Bahn-Scheiben hinterlassen . Sie verätzt die Haut sofort bis ins tiefere Gewebe und sogar auf die Knochen. Ganze Gliedmaßen können schnell verloren sein.
Dekontaminationsanlagen gibt es an vielen Kliniken – und gab es auch bereits einige Jahre in Boberg. „Aber das war nur für maximal zwei Patienten“, sagt Dirk Greunig, Leitender Oberarzt und für Qualitäts- und Risikomanagement in Boberg zuständig. Zudem gab es bisher weder Sichtschutz noch Trennung von Männern und Frauen: Wer sich in der Remise neben der Notaufnahme entkleiden musste, durfte nicht zimperlich sein.
Nun wurde investiert – und die Remise, in der sonst die Krankenwagen neben der Notaufnahme halten, kann in Minutenschnelle zur aufwendigen Duschanlage umfunktioniert werden. Die langen Duscharme werden quasi aufgeklappt, zudem gibt es Trennwände und Ablaufpläne. Patienten, die hier ankommen, müssen sich entkleiden, eventuell sogar Haare lassen, durchlaufen mehrere Dusch-Etappen und erhalten am Ende neue Kleidung. An ihrer Seite sind geschulte Krankenhausmitarbeiter – gekleidet in spezielle Schutzanzüge, von denen die Klinik zehn Stück bereithält.
Übung am „Dethlinger Teich“
Benötigt wurde all das bisher kaum, da äußere Kontaminationen – anders als innere Vergiftungen – nicht so häufig sind. Um den Ablauf im Ernstfall zu testen, nimmt das BG Klinikum deshalb an einer spektakulären Übung in Niedersachsen teil. Dort, in der Nähe der Stadt Munster, gibt es seit vielen Jahren einen hochgiftigen Ort. In einer ehemaligen Kieselgur-Grube, die später mit Wasser volllief („Dethlinger Teich“), wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in riesigen Mengen Sprengstoffe und chemische Kampfstoffe versenkt und mit Erde zugeschüttet. Bisher wurde der Bereich nicht geöffnet. Doch weil Probemessungen zuletzt hohe Konzentrationen verschiedener Gifte im Umfeld ergaben, soll es nun nach langer Planung und Vorbereitung ab dem 16. September einen Probeschacht geben.
Ablauf in Boberg wird gestetet
Ein für die Arbeiter gefährliches Unterfangen, das ab Anfang September zunächst getestet wird. Vertreter der Boberger Klinik nehmen teil. Es geht um das Dekontaminieren möglicher Verletzter direkt am Ort. Aber auch den Transport in andere Kliniken und ihre Versorgung dort. „Das nehmen wir zum Anlass, um unseren Ablauf hier zu testen“, sagt Chefarzt Dr. Stefan Lönnecker. So können auch viele Klinikmitarbeiter den Umbau der Remise zur Dekontamination verfolgen.
Wie Patienten aus Niedersachsen im Ernstfall nach Boberg gelangen könnten, ist allerdings unklar. „Es ginge wahrscheinlich nur bodengebunden und nicht im Rettungshubschrauber“, sagt Chefarzt Lönnecker. Kaum ein Pilot würde wohl das Risiko eingehen, einen kontaminierten Patienten zu transportieren: Denn wenn der Patient den Piloten kontaminiert und diesen handlungsunfähig macht, „dann kann der nicht mehr landen“.