Bergedorf. Bergedorf. Jugendamt und Beratungsstelle für Opfer sexueller Gewalt warnen vor steigenden Zahlen – und wünschen sich mehr Präventionsarbeit.

Wenn Frauen zu Hause verprügelt und schwer misshandelt werden, können sie dann noch ihre Kinder schützen? Mit dieser Frage muss sich täglich das Bergedorfer Jugendamt beschäftigen. „In Krisensituationen müssen wir manchmal sehr kurz und knapp entscheiden, ob auch die Kinder in Not sind“, sagte die Kinderschutzbeauftragte Christine Busch jetzt im Jugendhilfeausschuss. Der hatte angeregt, über ein Kinderschutzhaus und/oder ein Frauenhaus im Bezirk nachzudenken.

Viele Frauen mit vielen Problemen

Nicht jede Frau, die Gewalt erfährt, kann auch Hilfe annehmen und in ein Frauenhaus ziehen – etwa in Harburg, Schwarzenbek oder Lüneburg. „Aber es gibt für alle Notfälle einen Platz“, betont Busch, die jedoch grundsätzlich auch ein Frauenhaus in Bergedorf begrüßen würde, denn die Häuser sind groß: „Es ist ein hoher Stressfaktor, wenn viele Frauen mit vielen Problemen an einem Fleck sind.

Zwei Kita-Gruppen in Obhut

„Anlass zu großer Sorge“, so Heribert Krönker (Die Grünen), bereiten die vielen Inobhutnahmen von Kindern: 2017 waren es 14, im vergangenen Jahr sogar 26 – und nur insgesamt vier konnten im Bezirk bleiben (in ganz Hamburg bieten neun Kinderschutzhäuser 105 Plätze). Krönker ist entsetzt: „Allein 40 Kinder aus Bergedorf – das sind immerhin zwei Kita-Gruppen!“

60 Opfer waren jünger als zehn Jahre

Die meisten Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung (2017 waren es in Bergedorf 1235) würden von der Polizei gemeldet, so Busch: „Dann entscheiden wir mit mehreren Fachkräften noch am gleichen Tag, welche Hilfe notwendig ist.“ Nicht alle Inobhutnahmen bedeuten einen längeren Aufenthalt etwa im Kinderheim: „Manchmal wollen wir ein Kind nur der Rechtsmedizin vorstellen, weil wir ein Gutachten brauchen. Wenn die Eltern nicht einverstanden sind, nehmen wir das Kind in Obhut – nur für einen Tag.“ Welche Geschichten dahinter stehen, kann sich das Team des Bergedorfer Vereins „Zornrot“ sehr gut vorstellen. „Wir hatten zuletzt 60 Fälle von betroffenen Kindern bis zu zehn Jahren, davon waren 25 sogar unter fünf Jahre alt“, sagt die Leiterin Franziska Ullrich.

Auch Gewalt unter Geschwistern

Die Beratungsstelle für Opfer sexuellen Missbrauchs nennt weitere, erschütternde Zahlen: 32 Fälle seien aus Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen gemeldet worden, zudem steige die Zahl der Selbstmeldungen von 14- bis 17-Jährigen. Auch untereinander tun sich junge Menschen schlimme Dinge an, dazu gehören übergriffige Fotos, die via Smartphone verschickt werden. Allein zehnmal sei es zu Vorfällen unter Geschwistern gekommen.

„Es gibt auch einen Anstieg in Schulen und Vereinen. Wir hatten einige brisante Fälle“, sagt Ullrich, die unbedingt mehr Prävention an Bergedorfer Schulen fordert: „Dort ist man vielfach mit einer Krisenintervention überfordert. Und wir bekommen die Arbeit in Schulen leider nicht explizit von der Sozialbehörde finanziert“, so die Sozialpädagogin, die in Sachen Prävention für dieses Jahr komplett ausgebucht ist. In manchen, konkreten Fällen könne sie auf eine kostenlose Erstberatung bei Anwältinnen verweisen.

Geistig Behinderte missbraucht

Alarmierend ist noch eine weitere Zahl: Zuletzt gab es 26 Meldungen zum sexuellen Missbrauch geistig Behinderter. Ullrich: „Das hat sich verdreifacht, im Vorjahr waren es neun Meldungen.“

Bei „Zornrot“ teilen sich drei Mitarbeiterinnen 2,5 Personalstellen. Seit April ist die Sozialarbeiterin Hannah Brüggemann frisch dabei. Während manche Klientinnen nur zweimal kommen, werden andere jahrelang betreut, wenn sie etwa auf der Warteliste für einen Therapeuten stehen.

Auch Täter brauchen Hilfe

Die Täter sind meist männlich und stammen zu 80 Prozent aus dem familiären Umfeld. Auch sie sollten sich mit ihren Taten auseinandersetzen, „aber das Angebot für gewaltbereite Männer ist relativ überschaubar“, weiß Christine Busch. Sie wünscht sich zudem mehr Hilfen für Opfer im Grundschulalter: „Die meisten Angebote gelten ab zwölf Jahren.“

Inobhutnahme für einen Tag – zur Begutachtung in der Rechtsmedizin
Christine Busch,