Bergedorf. Diskussion Wie die Existenz der Familie Lavy zerstört wurde
. In kaum einem Land der Erde arbeitet die Bürokratie so effektiv wie in Deutschland. Das gilt heute, und es galt noch viel mehr im Dritten Reich – damals mit dramatischen Folgen: Das Finanzamt half bei der Judenverfolgung so gründlich, dass die Nazis ohne diese Handlanger in den Amtsstuben bei der Zerstörung jüdischer Existenzen deutlich weniger erfolgreich gewesen wären.
Mit einer besonders makabren Bergedorfer Geschichte befasst sich am Donnerstag (19 Uhr; Eintritt: 8 Euro) das Kulturhaus SerrahnEins: Carl Lindemann, seit den 1930er-Jahren Vorsteher des Bergedorfer Finanzamts, entzog dem jüdischen Unternehmer Kurt Lavy und seiner Frau Anna-Maria so gezielt ihr gesamtes Vermögen, dass die beiden 1938 mit kaum mehr als dem nackten Leben gerade noch nach Brasilien auswandern konnten.
„Raub in zehn Akten“ nennt Historiker Bernhard Nette, pensionierter Lehrer der GSB, den Ablauf der Ausbeutung. Er hat den Fall detailliert erforscht und in einem 95 Seiten starken Aufsatz zusammengefasst. Darin wird deutlich, wie akribisch der Finanzbeamte Lindemann und seine Mitarbeiter vorgegangen sind, um das Vermögen der Lavys immer weiter zu reduzieren. Dabei brauchte Lindemann selbst gar nicht kreativ zu sein, er setzte einfach nur konsequent um, was ihm Hamburgs Behörden vorgaben – ebenso gründlich wie gefühlslos.
„Was mich darüber hinaus besonders schockiert, sind die Folgen der Wiedergutmachung in der 1950er-Jahren“, sagt Nette. „Da wurden Lindemanns Anweisungen aus der Schublade gezogen und so die Ansprüche der Lavys auf 8998 D-Mark geschrumpft. Das war die Vollendung der Nazi-Pläne in der Bundesrepublik.“
Über den Fall diskutiert Nette Donnerstag mit Ernst Heilmann, Vorsitzender des DGB Bergedorf und Sohn einer jüdischen Familie. In das Thema einführen wird Dr. Jaromir Balcar, Historiker vom Max Planck Institut Berlin. Er widmet sich auch den Besonderheiten Carl Lindemanns: Seine Frau stammte aus einer jüdischen Familie.