Bergedorf-West. Bergedorf-West. Experten sehen diverse Sanierungsfälle - und sind beeindruckt vom sozialen Zusammenhalt.
Die tristen Hochhaus-Fassaden täuschen: Auch 50 Jahre nach dem Erstbezug 1969 lieben die Bewohner ihren Stadtteil Bergedorf-West – zumindest die Senioren: „Wir sind als junges Pärchen hergezogen, haben hier unseren Sohn bekommen und großgezogen. Auch nach dem Tod meines Mannes bin ich allein im Stadtteil wohnen geblieben. Und das habe ich nie bereut: Die großartige Nachbarschaft und die vielen sozialen Einrichtungen haben mich aufgefangen. Das ist mein Bergedorf-West“, sagt Gudrun Rehse, die gerade ihren 70. Geburtstag gefeiert hat.
„Einmal Westler, immer Westler“
„Einmal Westler, immer Westler“, sagt auch Werner Kleint (68), Vorsitzender des Angelvereins und der Arbeitsgemeinschaft Bergedorf-West, zu der 24 Vereine und Verbände gehören – obwohl er selbst im benachbarten Nettelnburg wohnt: „Mich begeistert diese einzigartige Selbstverständlichkeit, sich für seine Nachbarschaft und den Stadtteil zu engagieren. Deshalb bin ich schon 36 Jahre in Bergedorf-West aktiv dabei.“
108 Seiten lange Analyse
Eindrücke, die auch die aktuelle Untersuchung des Altonaer Büros „Tollerort“ unterstreicht. Auf 108 Seiten haben die Experten für soziale Stadtteilentwicklung im Auftrag des Bezirksamts zusammengetragen, was in Bergedorf-West gut läuft und wo dringend Handlungsbedarf besteht.
Flüchtlingsunterkunft hat Stadtteil-Zusammenhalt gestärkt
Die „Problem- und Potenzialanalyse“ sieht den Stadtteil baulich wie auch sozial in die Jahre gekommen. Zwar seien Identifikation und Nachbarschaft tatsächlich zentrale Stärken, die durch das Engagement der Westler für die Flüchtlingsunterkunft auf dem P+R-Platz am Bahnhof Nettelnburg von 2015 bis 2018 sogar noch gestärkt wurden. Doch bleibe das wesentlich auf die Alteingesessenen beschränkt. Neu Zugezogene, darunter vor allem Menschen mit Migrationshintergrund, seien kaum einbezogen: „Bei öffentlichen Veranstaltungen zeichnen sich Parallelkulturen ab. Auch Aussiedler und Russlanddeutsche sind in ihren Bezügen eher auf die eigene ,Community’ gerichtet und außerhalb derer wenig in die Nachbarschaft integriert.“
Mieten niedriger als im Hamburger Durchschnitt
Tatsächlich, so die Analyse, belegten die Statistiken, dass unter den gut 7000 Westlern die Arbeitslosigkeit höher sei als im Bergedorfer oder Hamburger Durchschnitt. Gleichzeitig gebe es vergleichsweise mehr Haushalte mit Kindern. Als Grund sehen die Forscher die relativ niedrigen Mieten und die Tatsache, dass Bergedorf-West „in Hamburg als Wohn- und Lebensstandort kaum bekannt ist“, also niemand, der nicht ohnehin aus dem Stadtteil stammt, gezielt nach Wohnungen hier suche.
Erheblicher baulicher Sanierungsstau
In die Jahre gekommen ist Bergedorf-West laut Analyse vor allem auch baulich. So würden Stärken wie die Nähe zur S-Bahn und die gute Erschließung mit Straßen und durch Grünanlagen führende Fußwege sowie die gute Ausstattung mit Sportflächen, Schulen, Kitas und sozialen Einrichtungen ins Gegenteil verkehrt. Denn überall gebe es einen erheblichen Sanierungsbedarf. Dringend nötig sei vor allem eine Überarbeitung des Eingangsbereichs vom Bahnhof über das alte Einkaufszentrum bis zum Werner-Neben-Platz. Und Sportplatz wie Grünanlagen bräuchten dringend Pflege.
Nachdenken über Alternativen zum Pkw
„Mir fehlt im ganzen Stadtteil etwas Blühendes“, sagt Bergedorf-West-Chronist Dietrich Pauly (78), der schon seit 1969 mit Ehefrau Ilse im Stadtteil wohnt und „gern auch das Areal des Wochenmarktes endlich zeitgemäß gestaltet sehen“ würde. Anfreunden könnte er sich mit dem Vorschlag der Planer, die auffällig vielen Pkw im vor 50 Jahren autogerecht geplanten Stadtteil deutlich zu reduzieren: „Ideen wie Carsharing oder mehr Fahrradverkehr passen zu Bergedorf-West. Die kurzen Wege zu Bus und Bahn machen das Auto zumindest für uns verzichtbar.“
Senat entscheidet im April
Was Bergedorfs Politiker von den Vorschlägen und der Analyse des Büros „Tollerort“ halten, ist morgen Thema im Stadtentwicklungsausschuss (18 Uhr; Rathaus, Wentorfer Straße 38). Die Problem- und Potenzialanalyse soll Türöffner sein, Bergedorf-West in das Förderprogramm der Regionalen integrierten Stadtteilentwicklung (Rise) aufzunehmen. Die Entscheidung will der Senat im April fällen.