Bergedorf. Möbelbergedorf verkauft seit 30 Jahren an Bedürftige – 1000 Kunden pro Monat
Am Eingang steht eine Kiste mit der Aufschrift „Gläser zu verschenken“. Wer eintritt in die 350 Quadratmeter große Halle an der Brookkehre 32 und Muff wie in manchen Ramschläden erwartet, wundert sich: Im Sozialkaufhaus MöbelBergedorf finden sich Stühle, Sofas, Schränke und Kleinkram wie Kerzenständer, Lampen, Regenschirme sauber geordnet, selbst die Blumentöpfe sind nach Farben sortiert. Und muffig riechen tut es schon gar nicht.
„Vorhänge, Tischdecken und Bettwäsche haben wir alle gewaschen“, betont Aleksandra Sliwa. Die 51-Jährige hat den Laden im Griff. Als Veranstaltungs- und Bühnenmeisterin kennt sie den Geschmack ihrer Kunden, das sind immerhin 1000 im Monat: „Gelsenkirchener Barock mit Vollholz aus den 70er-Jahren geht gar nicht. Aber weiße Ikea-Möbel sind meist nach nur wenigen Stunden verkauft.“
Kein Wunder bei den Preisen: Der braune Dreisitzer kostet statt 699 bloß 80 Euro. Als Festpreis, versteht sich: „Als die ersten Flüchtlinge nebenan ins Containerdorf zogen, wollten die immer handeln. Das sind die aus der Heimat so gewohnt“, sagt Sliwa. Aber das war ihren Mitarbeitern zu anstrengend.
Sie haben ein Auge auf die Käufer: Wer bedürftig ist, also auf Sozialleistungen angewiesen, bekommt eine Kundenkarte. Hier wird alles eingetragen, also würde sofort auffallen, wenn jemand in einem halben Jahr drei Schlafzimmerschränke ergattern möchte. „Manchmal kommen auch Trödelhändler und Ebay-Verkäufer. Aber wir verkaufen keine 25 Fernseher, die dann in Afrika landen. Jeder bekommt nur die normale Grundausstattung“, stellt Sliwa klar.
Die Buchhaltung ist eindrucksvoll: 150 Sofas wurden 2018 verkauft, je etwa 90 Kleiderschränke, Betten, Tische, dazu 120 Elektro-Artikel wie Waschmaschinen und Lampen, 140 Kleinmöbel, Regale, Kommoden und vieles mehr.
Viele Dinge wurden von Bergedorfern gespendet, mal wurde umgezogen, mal ein Haushalt nach Todesfall aufgelöst. „Wir kommen mit den Lieferungen kaum hinterher, vieles geht ans Gleisdreieck oder an arme Rentner“, sagt Peter Bakker, Geschäftsführer des Trägers Sprungbrett gGmbH. Er bietet am Brookdeich auch Arbeitsgelegenheiten: Heute sind 25 Langzeitarbeitslose als „Ein-Euro-Jobber“ tätig, dazu 15 junge Menschen (bis 35), die über das Programm „Fit für den Job“ mit Arbeitsvertrag 20 Stunden je Woche beschäftigt und zugleich in Qualifizierungsangebote begleitet werden.
„Die meisten unserer jährlich 50 Teilnehmer sind leider nur für ein Jahr befristet hier“, sagt Bakker. Ganz anders die Beschäftigten, die über das neue Programm „soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ kommen: Bakker hat bis zu 15 angefordert, zwei wurden mit dem Jahresbeginn bereits eingestellt. Bis zu fünf Jahre können diese Hartz-IV-Empfänger bei MöbelBergedorf tätig sein. Und das in Tätigkeitsfeldern, die etwa für Ein-Euro-Jobber ausgeschlossen sind. „Diese Menschen werden nicht im gemeinnützigen, sondern im gewerblichen Bereich tätig sein, etwa bei Umzügen oder Entrümplungen.“
1989, also vor genau 30 Jahren, wurde das Projekt MöbelBergedorf aus der Taufe gehoben. Um Bedürftigen zu helfen und um zugleich aufzuzeigen, dass jeder Mensch gebraucht wird. „Geflüchtete haben oft erst einmal keine anerkannte Ausbildung und werden qualifiziert. Die andere Hälfte sind Langzeitarbeitslose. Immerhin acht Prozent aller Ein-Euro-Kräfte schaffen es auf den ersten Arbeitsmarkt“, weiß Geschäftsführer Bakker. Im Laufe der vergangenen 30 Jahre waren bei MöbelBergedorf gut 1000 Menschen tätig.
Am Standort ist auch eine Abteilung der Bergedorfer Produktionsschule ansässig, Teilnehmer ohne Schulabschluss oder ohne Ausbildungsperspektive können hier Erfahrungen im Arbeitsalltag sammeln und auch ihren Schulabschluss nachmachen. Bakker: „Wir suchen dringend nach einem neuen Standort in Bergedorf, gern für die gesamte Produktionsschule und MöbelBergedorf unter einem gemeinsamen Dach.“