Hamburg. Bei der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln entstandene Gift könnte vom Chemiekonzern Boehringer kommen. Polizei ermittelt.
Nach dem Fund von dioxinverseuchter Erde im Naturschutzgebiet Boberger Niederung hat die Hamburger Umweltbehörde am Donnerstag weitere alarmierende Details veröffentlicht. Demnach ist die Belastung mit dem krebserregenden Stoff die höchste, die bisher in Hamburg gemessen wurde. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass es sich um ein chemisches Abfallprodukt aus der Pflanzenschutzmittelherstellung der Firma Boehringer handelt.
Der Behörde zufolge haben Experten in den Stichproben, die im Mai routinemäßig nahe dem Walter-Hammer-Weg in Lohbrügge auf einem 1500 Quadratmeter großen Areal genommen wurden, eine Konzentrationen von mehr als 700 Mikrogramm Dioxin pro Kilogramm nachgewiesen.
700-fache des Schwellenwertes nachgewiesen
Der gesetzliche Schwellenwert liegt bei einem Mikrogramm, Kinderspielplätze werden ab 0,1 Mikrogramm geschlossen. Selbst auf dem 1984 geschlossenen Werksgelände des Unternehmens Boehringer in Moorfleet wurden seinerzeit lediglich 400 Mikrogramm ermittelt.
Der betroffene Teil des Naturschutzgebietes Boberg sowie die Ein- und Ausgänge zwischen den Parkplätzen „Unterberg“ und „An der Kreisbahn“ bleiben für weitere Untersuchungen gesperrt. Anwohner werden am 13. November bei einer Informationsveranstaltung (18 Uhr, Stadtteilschule Mümmelmannsberg) aufgeklärt. Im Januar sollen die Ergebnisse für das gesamte, möglicherweise großflächige Ausmaß des Umweltfrevels vorliegen. Bisher geht die Behörde weder von einer akuten Gefährdung für die Bevölkerung noch von einer Grundwasserbelastung aus.
Senator sprach von schwerem Umweltvergehen
Wie schon nach dem Bekanntwerden des Fundes im September erklärte Umweltsenator Jens Kersten (Grüne) am Donnerstag, er nehme den Dioxinfund sehr ernst, er sprach von einem „schweren Umweltvergehen“. Wie das chemische Abfallprodukt dorthin gelangt ist, sei offen. In den 60er-Jahren gab es an der betroffenen Stelle eine Baustellenstraße.
Die Polizei ermittele inzwischen wegen einer „besonders schweren Umweltstraftat“, die Firma Boehringer sei mit Gesprächsbedarf angeschrieben worden. Da diese Umweltvergehen nicht verjähren, sagte der Staatsrat der Umweltbehörde Michael Pollmann, könnte der Verursacher auch jetzt noch belangt werden.
Pilze, Beeren und Fische werden auf Gift untersucht
Neben dem Fundort werde nun ein vier Hektar großes Areal genau untersucht, einschließlich Proben aus Pflanzen, Pilzen, Beeren und Fischen – zwei Angelvereinen ist das Nutzen der benachbarten Teiche untersagt worden. Erst nach den Ergebnissen könnten belastbare Aussagen darüber getroffen werden, wie groß das Ausmaß der Altlast ist und wie mögliche Sanierungsmaßnahmen aussehen könnten. Schlimmstenfalls werde das Areal „eingekapselt“, also wasserdicht verschlossen.
Dioxin ist ein Abfallprodukt aus 17 Einzelstoffen. Es gilt als krebserregend und ist besonders gefährlich, wenn es über die Nahrung aufgenommen wird. Es ist schwer wasser-, dafür sehr gut öllöslich und hat in Hamburg eine skandalöse Geschichte.
Dioxin stammt aus Skandalfirma
1984 hatte der Chemiekonzern Boehringer Ingelheim in Moorfleet einen der größten Umweltskandale der Bundesrepublik verantwortet. Die Fabrik verstieß massiv gegen die Auflagen der Umweltbehörde, auf den Deponien auf der Veddel und in Georgswerder wurden Dioxin verseuchte Abfälle gefunden. Es war das erste Mal in Deutschland, dass eine Behörde einen großen Chemiebetrieb wegen Vergehen gegen den Umweltschutz schließen ließ.
Bei Boehringer selbst waren 1.600 Arbeiter betroffen. Viele von ihnen erkrankten an Krebs oder anderen Krankheiten, die mit Dioxin in Verbindung gebracht werden.