billwerder. Die Großsiedlung in Billwerder kann nicht für deutsche Mieter geöffnet werden. Kleingärtner fühlen sich umzingelt. Ein Ortsbesuch.

Vielleicht beginnt die bessere Zukunft in diesem Moment: Ein junger Flüchtling und eine blonde Frau geben sich die Hand, um sie herum wuseln Menschen um Stände von Logistikfirmen herum. Jobmesse im feuerroten Flachbau am Mittleren Landweg, die Chance, das Beste für alle aus der Situation zu machen. „Hier gibt es zwar sonst nicht viel in der Gegend“, sagt einer der Arbeitgebervertreter. „Und natürlich Flüchtlinge, mehr als genug.“

Auf der anderen Straßenseite spucken die Neubauten in engem Takt weitere Menschen aus, sie grüßen freundlich „Moin“, vor fast jedem Eingang funkeln Spielplätze. Was in der Planung von der Angst vor einem „Flüchtlings-Getto“ umweht wurde, steht nun da wie die in roten Backstein und helles Beige geschüttete Vorstadtidylle. Wären da nicht die großen Makel an der Erfolgsgeschichte der größten Flüchtlingssiedlung Deutschlands in Billwerder.

Kein einziger Deutscher unter den Bewohnern

Man mache den Bewohnern so viele Angebote wie möglich, sagt die Unterkunftsleiterin Christiana Kant – nur habe auch ihr Engagement Grenzen. „Es ist nun einmal so, dass es für Integration eine Mischung zwischen Einheimischen und Geflüchteten braucht. Es gibt aber noch viele Fragezeichen, wie das in die Tat umzusetzen ist.“

Leitartikel: Asyldorf mit Risiken

Da ist noch kein einziger Deutscher unter den 2500 Bewohnern, nicht einmal ein Supermarkt in der Nähe; nur ein Kiosk am Bahnhof Mittlerer Landweg. In den vier Kitas auf dem Gelände werden bislang keine deutschen Kinder betreut. Das Zwischenziel, die Zahl der Flüchtlinge bis zum Ende des Jahres auf 1500 Menschen zu reduzieren wird wohl ebenso gerissen wie das Ziel, im Jahr 2020 möglichst nur noch maximal 300 Flüchtlinge in einer Unterkunft zu haben.

Flüchtlingskoordinator: „Nicht unsere Schuld“

Der Flüchtlingskoordinator Anselm Sprandel sagt, dass sei „gewissermaßen nicht unsere Schuld“ – es gibt mehrere Gründe für die Verzögerung, unter anderem eine fehlende Lärmschutzwand. „Wir unternehmen besondere Anstrengungen, um den Bewohnern etwa den Fortzug in regulären Wohnraum zu erleichtern“, sagt Sprandel.

Am Mittleren Landweg müssen Christiana Kant und ihre 30 Mitarbeiter den Wartestand ihrer Bewohner managen. Rund ein Drittel sind Syrer, ein Drittel Afghanen, der Rest verschiedener Herkunft. „Eine Herausforderung ist sicherlich, keinen Bewohner aus den Augen zu verlieren“, sagt Kant – auch wenn sie unmöglich alle beim Namen kennen kann. „Viele Bewohner sind auf einem guten Weg“, sagt sie, knapp jeder vierte Flüchtling vom Mittleren Landweg hat Arbeit gefunden und spricht Deutsch auf B1-Niveau, das entspricht etwa den avisierten Fähigkeiten von Hamburger Oberstufenschülern in Englisch. „Bei anderen stecken wir noch immer mitten in der Basisarbeit.“

Willkommen fühlen sie sich, aber nicht angekommen

Im Wohnzimmer einer tschetschenischen Familie prangt eine große Biedermeier-Schrankwand, Vater Lour und Mutter Luiza haben jetzt endlich einen Deutschkurs, aber für mehr als eine Begrüßung reicht es noch nicht. Ihre neunjährige Tochter Sunita übersetzt; sie hat in nur drei Jahren ein makelloses Deutsch gelernt. „Wir fühlen uns wohl, es ist nur manchmal eintönig“, sagt sie.

Sie haben ein paar Landsleute als Freunde gefunden und auch das Sommerfest besucht, als Bands und Künstler aus aller Herren Länder auf dem Hof der Unterkunft auftraten. „Wir fühlen uns willkommen.“ Nur richtig angekommen zu sein, nein, das würden sie dann doch nicht sagen. „Unser größter Traum ist ein Haus in der Stadt“, sagt Sunita, einen eigenen Garten für die vier Kinder und dass ihre Eltern wieder arbeiten können. Vater Lour schaut nach unten, verzieht kurz das Gesicht und nestelt an einer Zigarette.

Die Hälfte würde lieber heute als morgen wegziehen

Christiana Kant geht an einem improvisierten Stand eines fahrenden Gemüsehändlers auf dem Hof vorbei, Frauen mit Kopftuch kaufen Melonen. „Vier-, fünf- und sechsköpfige Familien sind bei uns die Regel“ sagt Kant, fast jeder dritte Bewohner ist jünger als zwölf Jahre. Für Familien liege der Traum von einer eigenen Wohnung besonders fern. „Wohnungen in entsprechender Größe gibt der Markt ja kaum her.“ Dabei würde gut die Hälfte der Bewohner lieber heute als morgen wegziehen.

Christiana Kant sagt, es fänden sich zwar bereits immer wieder Alleinstehende, die schon gut integriert seien und auch aus der Unterkunft auszögen – auf der anderen Seite kämen so viele Kinder in der Unterkunft zur Welt, dass die Plätze von selbst wieder aufgefüllt seien. „Es ist auch nicht unsere Aufgabe, jeden proaktiv in Wohnraum zu vermitteln. Wir sind für grundlegende Hilfestellungen und den sozialen Frieden in der Unterkunft verantwortlich.“

Kleingärtner fühlen sich „umzingelt“

Am Freitagnachmittag halten sich einige Flüchtlinge auf dem Trimm-dich-Pfad auf dem Gelände der Unterkunft fit, nur einige Meter hinter einem Graben beginnt eine andere Welt von Billwerder. Die Kleingartensiedlung, die lange vor den Flüchtlingen am Mittleren Landweg war. „Wir sind jetzt umzingelt“, sagt Brigitte Köhler (65), eine der Pächterinnen, die mit ihren Freunden Wolfgang und Rosemarie Lüdtke in deren Parzelle sitzt.

Yasin Sial (20) und seine Schwester Shabnam (18) kamen aus Afghanistan nach Hmburg
Yasin Sial (20) und seine Schwester Shabnam (18) kamen aus Afghanistan nach Hmburg © Roland Magunia/Hamburger Abendblatt | Roland Magunia/Hamburger Abendblatt

Auf einmal sei da ein Bagger gewesen, als die Bauarbeiten begannen, dann seien 4000 Pfähle eingeschlagen worden, jedes Mal sei ihnen der Schreck in die Glieder gefahren. Die Eltern in der Unterkunft passten nicht richtig auf die Kinder auf, manchmal würden sie von dem Gelände mit Steinen beworfen, nachts sei es „höllisch laut“, ständig stünden die Mülleimer auf dem Gelände offen und zögen Ungeziefer an. „Wir verachten die Flüchtlinge nicht“, sagt Brigitte Köhler, es sei doch schrecklich, was viele durchmachen mussten. „Und wir gehören bestimmt auch nicht in die rechte Ecke. Nur wollen wir nicht von der Politik im Stich gelassen werden.“

Die Unterkunftsleiterin ist mit den Kleingärtnern im Gespräch, sie kann verstehen, dass mit der neuen Unterkunft für sie der Traum von der Ruhe im Grünen ein Ende fand. „Wirkliche Konflikte auf dem Gelände oder mit Nachbarn sind aber selten. Am Anfang war die Polizei vorsorglich ständig präsent, jetzt lohnt sich das für das Kommissariat nicht mehr, wie uns gesagt wurde.“

Tannenbaum im Haus, um sich deutsch zu fühlen

Der junge Afghane Yasin Sial (20) sagt, es brauche Zeit, sich an das Leben in Deutschland zu gewöhnen. „Ich mache jetzt ein Praktikum in einer Kfz-Werkstatt, da treffe ich viele Hamburger“, sagt er. In der Wohnung seiner Familie steht auch im Sommer ein kleiner Tannenbaum auf einem Regal. Einige Nachbarn haben ihre Balkone mit schwarz-rot-goldenen Flaggen dekoriert oder sich kitschige Stickereien aufgehängt, damit sich das Leben am Mittleren Landweg etwas deutscher anfühlt.

Christiana Kant sagt, es gebe da viele Projekte, etwa den „Mieterführerschein“ für das spätere Leben ohne Sozialarbeiter. Auch die Jobmesse im Flachbau gegenüber sei ein Erfolg. Man gehe die kleinen Schritte, auf Sicht, aber beständig. „Und dann hofft man, dass der große Plan am Ende auch wirklich aufgeht.“

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, dass von Rechts wegen keine deutschen Kinder in den vier Kitas auf dem Gelände betreut werden dürfen. Tatsächlich sind die rechtlichen Voraussetzungen dafür inzwischen vorhanden. Es werden jedoch aktuell keine deutschen Kinder dort betreut.