Bergedorf. Nach einem Kabelbrand im Keller hat das Bezirksamt ein fünfgeschossiges Wohnhaus am Reetwerder räumen lassen.
In einer beispiellosen Aktion hat das Bezirksamt gestern das unter Nachbarn als „Ekelhaus“ bekannte Eckgebäude Reetwerder /Alte Holstenstraße geräumt. Der fast ausschließlich von Rumänen bewohnte fünfgeschossige Altbau war bereits Ende März hamburgweit in den Schlagzeilen, nachdem die Behörden bei einer Razzia zum Wohnraumschutz lebensgefährliche Zustände und eine menschenunwürdige Überbelegung trotz Wuchermieten festgestellt hatten.
Marode Elektroleitungen führten zu Brand im Keller
Schon damals mussten 20 Erwachsene und zehn Kinder wegen „Gefahr im Verzug“ ausziehen – durch ein Leck in einer Gastherme strömte lebensgefährliches Kohlenmonoxid aus, blanke Elektroleitungen standen unter Strom. Gestern nun hatten die maroden Elektroleitungen die komplette Zwangsevakuierung des Gebäudes zur Folge. Bezirksamtsleiter Arne Dornquast: „Am Morgen gab es einen Schwelbrand an Elektroleitungen im Keller. Dadurch ist die Stromversorgung im ganzen Haus ausgefallen, sodass nun alle Wohnungen unbewohnbar sind.“
Bewohner konnten nur das Nötigste mitnehmen
Gegen 11 Uhr rückten das Bezirksamt und die Polizei mit einem Dutzend Beamten und Dolmetschern an. Die Bewohner hatten nur wenige Minuten Zeit, Papiere, Kleidung und das Nötigste zusammenzupacken, dann wurden sie aus dem Haus geleitet und die Wohnungstüren mit neuen Schlössern versehen.
Menge der Leute in dem fünfgeschossigen Haus unklar
Insgesamt waren 160 Menschen im Haus gemeldet, darunter ein Drittel Kinder und viele schwangere Frauen. Aber fast alle Familien hatten zudem noch „Besuch“ untergebracht. In Müllsäcken und Bettbezügen schleppten die Bewohner ihr Hab und Gut auf die Straße. 134 Menschen wurden mit einem VHH-Bus zunächst ins Lichtwarkhaus gebracht, am späten Nachmittag ging es für sie in eine Notunterkunft an der Friesenstraße im Stadtteil Hammerbrook.
Haus steht seit kurzem unter Zwangsverwaltung
Im Zuge der Räumung wurde bekannt, dass das Haus Anfang der Woche unter Zwangsverwaltung gestellt wurde, offenbar wegen Zahlungsschwierigkeiten des Eigentümers. „Der war bislang nicht sehr kooperativ – nun haben wir einen neuen Ansprechpartner“, hofft Bezirksamtsleiter Arne Dornquast jetzt auf eine dauerhafte Lösung. „Wir prüfen noch, ob bei der Vermietung alles steuerlich in Ordnung war, ob das Haus baulich und genehmigungstechnisch überhaupt noch bewohnbar ist. Wir sind dort längst noch nicht am Ende.“
Mieterin berichtet von Wohnungen ohne Strom und Wasser
Die Lebensbedingungen, von denen Maria Munteanu aus dem gestern geräumten „Ekelhaus“ am Reetwerder berichtet, sind kaum zu fassen: Die 25-jährige Rumänin berichtet von ihrem Zimmer im dritten Stock des Gebäudes, in dem sie und ihr Mann seit Oktober 2016 hausten. Ein Bett, ein Schrank – mehr passte nicht hinein. Zuletzt habe es, so erzählt die Frau, „wochenlang kein Wasser aus der Leitung“ gegeben. Andere Mieter des Reetwerder 3 hätten wiederum komplett auf Strom verzichten müssen.
Ein Zimmer soll 500 Euro Monatsmiete gekostet haben - in bar
Und dann dieser fiese „Verwalter“. Maria Munteanu, die als Reinigungskraft arbeitet, nennt ihn „Daniel“: Er soll die aus Rumänien, Bulgarien und der Türkei stammenden Mieter abgezockt haben: „Zuerst sollten wir 400 Euro im Monat bezahlen. Immer in bar. Im Dezember 2017 hat der Eintreiber dann mit Rausschmiss gedroht, wenn wir nicht ab sofort 500 Euro zahlen würden.“
Unmenschliche Sitten im „Ekelhaus“ – und lebensgefährlich, wie gestern Morgen um 8.30 Uhr klar wurde. Da brannte es offenbar im Keller: „Dort hing eine völlig desolate Verkabelung herum. Das führte dann zu einem Kurzschluss“, sagt Helmut Hoffmann aus dem Bezirksamt.
Betreuung im Lichtwarkhaus - Dann ging es nach Hammerbrook
Vorübergehend wurden 134 Menschen gestern im Lichtwarkhaus untergebracht, dort vom DRK und Verwaltungskräften versorgt, bevor es abends in eine Notunterkunft in Hammerbrook ging. Munteanus Landsmann Gheorghe Vaduva (29), der für einen Zustelldienst arbeitet, schüttelt den Kopf: „Kein Strom, kein Wasser, teilweise Ungeziefer und so viel Miete für so ein kleines Zimmer – das ist doch nicht normal.“
Behörde organisiert Busshuttle für Schulkinder
„Die Lage hat sich in den vergangenen zwei Wochen zugespitzt“, zeigt Bezirksamtssprecherin Lena Stich die Gründe für die Räumung auf. Bevor überhaupt jemand wieder ins Haus zurückkehren kann, muss das Bezirksamt sicher sein, dass „die Hauselektrik in einen fachgerechten Zustand gebracht wurde“, so Stich weiter. Ansonsten soll das normale Leben für die Menschen weiter gehen: Ein Bus-Shuttle für alle Schulkinder unter den Bewohnern sei eingerichtet.