Bergedorf. Völkerverständigung Verein feiert 30-jähriges Bestehen
Was braucht der Mensch? Diese Frage steht für Girija Harland immer im Mittelpunkt. So war es auch, als sie im Frühjahr 1988 in der Bergedorfer Zeitung den Aufruf von Bezirksamtsleiterin Christine Steinert las: Für eine Flüchtlingsunterkunft an der August-Bebel-Straße würden Helfer gesucht. „Ich war die einzige, die sich meldete. Bin gekommen und geblieben“, sagt Harland, die im Folgenden den Verein „Bergedorfer für Völkerverständigung“ gründete – vor nun 30 Jahren.
Afghanen, Iraner, Kurden und Libanesen wohnten in der alten Villa, zudem waren Serben, Kroaten und Bosnier aus dem Kosovo geflohen. „Anfangs hatten sie nicht mal einen Backofen“, erinnert Harland erste pragmatische Hilfestellungen für 120 Bewohner. Dann wurde auch noch der Keller ausgebaut, kam Anfang der 90er-Jahre noch ein Roma-Clan dazu, der im Garten campierte. Eine erste Kooperation ging der Verein mit Bergedorfs VHS ein: „Eine Dame zeigte an der Nähmaschine, wie gespendete Kleider geändert werden, Vorhänge, Bettwäsche und Tagesdecken entstehen“, erinnert die heute 57-Jährige mit Blick auf ein Schwarz-Weiß-Foto.
Deutschunterricht, Kinderbetreuung, Nachhilfe, Spendensammlung, Behörden- und Arztbegleitung, Arbeits- und Wohnungssuche sowie bunte Feste gehören bis heute ebenso zu den Aufgaben der derzeit 180 Ehrenamtlichen wie der Schwimmkursus für Mädchen, die Fahrrad-Werkstatt oder Sportprojekte. Zwölf Unterkünfte zählt nun der Bezirk, wobei die Container am Friedrich-Frank-Bogen bald geschlossen werden, auch die Flüchtlinge am Weidenbaumsweg umziehen. Neu dazu kommt eine Bleibe für 264 Menschen am Bünt in Lohbrügge: Wer bei deren Integration helfen möchte, kommt am Montag, 7. Mai, zum runden Tisch (18 Uhr im „Haus brügge“ an der Leuschnerstraße).
„Es gab nie Zeiten, wo nichts zu tun war. Allein am Rahel-Varnhagen-Weg und am Curslacker Neuen Deich sind immer 900 Menschen, die Hilfe brauchen“, sagt Girija Harland, die auch auf Sonderwünsche einzugehen vermag: „Die Eltern vom Curslacker Neuen Deich wollten damals nur einen Schulbesuch ihrer Kinder akzeptieren, wenn sie direkt vor die Tür gebracht werden. Und da nun mal der 124-er-Bus da langfährt, wurden die Sechs- bis Zwölfjährigen in Ochsenwerder unterrichtet, wo extra eine zusätzliche Klasse eingerichtet wurde.“
Viele Bergedorfer erinnern sich an die Flüchtlinge im ehemaligen Baumarkt oder im alten „Hotel Waldschloss“ an der Wentorfer Straße. Oder am Lehfeld: „Das war katastrophal, da mussten die Menschen mit Gummistiefeln durch den Matsch zum Toilettentrakt“, so Harland. Nach der anfänglichen „Willkommenszeit“ habe sich der Fokus nun auf die Integration verlagert: „Wir wollen die Menschen in den Stadtteil bringen, wo sie Deutschen begegnen, mit ihnen sprechen können. Wir möchten verschiedene Sichtweisen zusammenführen, damit Verständnis entsteht.“
Paten helfen dabei, Arbeit, Sportangebote und Wohnraum zu finden, „damit sie in der Gesellschaft ankommen und keine Einsamkeit entsteht.“ Und so werden noch Paten gesucht (gern auch Migranten), die Menschen aus dem Gleisdreieck begleiten, Jugendlichen Nachhilfe geben oder Familien als „Wohnungslotsen“ unterstützen – vom Termin beim Hausmeister bis zum Antrag in der Behörde für die ersten eigenen Möbel.
Alle aktuellen Projekte werden in einer 72-seitigen Broschüre vorgestellt, die der achtköpfige Vorstand am 23. Mai präsentiert. Dann sind alle Ehrenamtlichen, 77 Vereinsmitglieder und Interessierte im Haus im Park am Gräpelweg eingeladen, von 18 Uhr an den 30. Geburtstag zu feiern - mit Kabarettistin Turid Müller, die aus ihrem Programm „Teilzeitrebellin“ vorträgt. Zudem soll es am 28. September noch einen offiziellen Empfang im „Haus brügge“ geben.
Dann wird Girija Harland ihren Wunsch an die Politik tragen: „Sie muss die Bedeutung von Verstetigung erkennen, denn wir sind nicht nur ein Notpflaster. Kontinuität ist wichtig“, sagt die Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Erst seit zwei Jahren kann sie eine Stelle für die Ehrenamtlichen-Koordination finanzieren. „Es darf doch nicht sein, dass wir jedes Jahr erneut um dieses Geld bangen müssen. Inzwischen ist doch klar, dass viele Menschen bleiben.“