Bergedorf. Bergedorf. Rückblick auf Bergedorfs gefürchtete politisch aktive Jugend von 1968.
. Das Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke, morgen vor 50 Jahren auf dem Berliner Kurfürstendamm verübt, sollte auf Hamburger Gebiet vor allem in Bergedorf Folgen haben. Es bescherte dem Bezirk zwei sehr turbulente Jahre: Mehr als 50 junge Gewerkschafter, Schüler und Studenten schlossen sich im Frühjahr 1968 zur berüchtigten Außerparlamentarischen Opposition, kurz APO Bergedorf, zusammen. Ihr Markenzeichen: freche Flugblätter, sozialistische Parolen, gern auch auf Häuserfassaden – und das Sprengen politischer Auftritte der etablierten Parteien, die sich in ihren Augen alle dem Kapitalismus anbiederten.
Auftritte von Helmut Schmidt, Rainer Barzel und vielen anderen im Visier
Zu spüren bekamen das Politiker wie Helmut Schmidt, die Christdemokraten Rainer Barzel und Jürgen Echternach sowie natürlich die im Bezirk damals noch tief verwurzelte NPD. Waren die Profi-Politiker den Bergedorfer Aktivisten zunächst rhetorisch überlegen, legte die APO-Truppe schnell nach. Unter Leitung ihrer Gründer Alfred Dreckmann und Peter Thormählen perfektionierten sie im „Demokratischen Zentrum“, der im Sommer 1968 angemieteten ehemaligen Neuengammer Schule an der Schiefen Brücke, Argumente und Taktik.
200 APO-Aktivisten sprengen Wahlkampfveranstaltung der CDU
So konnte Bundestagskandidat Schmidt die lautstarke Politiker-Schelte der APO-Aktivisten bei seinem Bergedorfer Auftritt am 14. Juni 1968 zwar noch abbügeln, mit dem Hinweis: „Entscheidungen in einer Demokratie dauern eben länger als Ihr Bart wächst“. Im Juli hatte es Hamburgs CDU-Chef Dietrich Rollmann schon deutlich schwerer, wurde er doch von mehreren Aktivisten verbal attackiert. Und am 8. Oktober gelang es, den Auftritt des CDU-Fraktionschefs im Bundestag, Rainer Barzel, in Schröders Hotel in Schwarzenbek komplett zu stoppen. Er unterbrach seine Rede, verließ den Raum und überließ die Bühne so den gut 200 jungen APO-Aktivisten. Die nutzten das, um im Saal über den Sozialismus zu diskutieren.
Bergedorfs Verwaltung zieht Genehmigung für NPD-Abend im Lichtwarkhaus zurück
Beeindruckt hat das offenbar auch Bergedorfs Verwaltung. Die hatte für den 29. Oktober bereits einen NPD-Abend im städtischen Lichtwarkhaus genehmigt. Als die APO ein Flugblatt zur Nazi-Nähe der Partei verteilte und „deutliche Aktionen“ ankündigte, wurde die Genehmigung „wegen Baufälligkeit des Saals“ zurückgezogen.
Neben die APO-Zentrale zieht die Verkehrsstaffel der Polizei
In Neuengamme bekam die APO derweil Nachbarn: Ein Teil der alten Schule wurde im November 1968 Sitz der Verkehrsstaffel der Bergedorfer Polizei. Doch das Miteinander hier funktionierte gut – auch wenn beide Seiten bei APO-Aktionen immer mal wieder aufeinandertrafen.
Ende 1968 werden die Aktivisten zu Verdächtigen
Zum Ende des Jahres 1968 kippte allerdings der sehr liberale Umgang, den die Bergedorfer und ihre Polizei mit der APO pflegten. Mitte November waren an der Ernst-Mantius-Straße Polizeiwagen in Brand gesteckt worden. Sofort wurde die APO verdächtigt, am 27. November ihr Mitglied Walter Simon festgenommen. Er kam zwar kurz darauf wieder frei, der Verdacht ließ sich nicht erhärten. Aber von jetzt an waren die Fronten verhärtet, auch weil die APO ohne Rücksicht weitermachte. Mitte Januar 1969 erklärte sie Luisen- und Hansa-Gymnasium mittels großflächiger Schmierereien zur „Rosa Luxemburg Schule“ und zum „Karl Liebknecht Gymnasium“.
„Go-in“ auch bei der Chefredaktion der Bergedorfer Zeitung
Auch unsere Zeitung, die bis dahin stets Stellungnahmen der APO abgedruckt und über ihre Aktionen sehr objektiv berichtet hatte, wandte sich ab. Das führte am 31. März zum „Go-in“ von 50 Aktivisten im Büro von Chefredakteur Karl Mührl. Als dabei bekannt wurde, dass in der Zeitungsdruckerei das NPD-Parteiblatt gedruckt wurde, folgte ein zweistündiges Streitgespräch.
Großbrand bei der Holzhandlung Behr wird zunächst der APO angelastet
Das Ende der aktiven Zeit der Bergedorfer APO markiert der Großbrand der Holzhandlung Behr auf dem heutigen Gelände des Einkaufszentrums CCB am 15. und 16. August 1969. Sofort wurden die APO-Aktivisten Walter Simon und Alexander Piltz unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Dieses Mal waren es Reporter des Magazins „Stern“, die deren Unschuld nachwiesen. Tatsächlich hatten nämlich zwei Hansa-Schüler gezündelt – wohl um es der APO in die Schuhe zu schieben.