Bergedorf. Abriss und Neubau vor 60 Jahren Forscher räumt mit einer Legende auf – Serie zum Lichtwark-Heft (2)

. Es gilt als markantes Stück Bergedorfer Geschichte, neben Schloss und Kirche sogar als prägender Teil des historischen Ortskerns. Dabei ist das Gasthaus „Stadt Hamburg“ kaum mehr als eine bessere Filmkulisse:

„Erfundene Tradition aus den 1950er-Jahren“ hat Christian Römmer seinen 25 Seiten langen Aufsatz überschrieben, der Teil des neuen Lichtwark-Heftes ist (8 Euro; ab Ostern in allen Buchhandlungen). Auf Basis umfangreicher Forschungen im Staatsarchiv und Zeitzeugengesprächen erzählt der Leiter des Kultur- & Geschichtskontors die bis ins Jahr 1481 zurückreichende Geschichte des Hauses. Von seinen Gastwirten sollen schon ein Marschall Napoleons, der abgesetzte König Karl X. und Prinz Wilhelm von Preußen beherbergt worden sein, der 1871 Deutscher Kaiser wurde.

Doch wie Römmer belegt, ist von diesem „ältesten und beachtenswertesten Profangebäude Hamburgs“, 1908 vom Senat aufgekauft, nichts mehr übrig. Dafür sorgten Bergedorfs Stadtplaner um Oberbaurat Werner Schlepper vor 60 Jahren. Im Winter 1957/58 wurde das stark baufällige Denkmal aus „verkehrs- und städtebaulichen Gründen“ abgerissen und als leicht versetzter Neubau im historisierenden Stil neu errichtet.

Eine Entscheidung, die typisch war für die erste Nachkriegsjahrzehnte. So ließ das Bezirksamt praktisch gleichzeitig nur 100 Meter südlich vom „Stadt Hamburg“ die Bergedorfer Straße mitten durch große Teile der Altstadt schlagen. Man wollte den Anforderungen der „modernen Zeit“ gerecht werden.

Was das für das neue „Stadt Hamburg“ bedeutete, listet Christian Römmer detailliert auf. So wurden diverse neue Fenster eingebaut, das Objekt mit einem neuen Keller, ganz anders zugeschnittenen Innenräumen, erstmals mit ausgebautem Dachgeschoss und einer vorgelagerten Terrasse versehen. Doch die städtischen Bauherren gingen sogar noch weiter. So stammen viele der Schmuckelemente, die das Haus zieren, aus anderen Gebäuden. Dazu gehören Kachelwände, Stuckdecken und Mobiliar. Sogar das markante schmiedeeiserne Herbergszeichen stammt in Wirklichkeit aus einem Abbruchhaus an der Töpfertwiete. Und die Sinnsprüche im Gebälk des „Stadt Hamburg“ wurden gleich ganz neu entworfen.

Trotz der unzähligen Verstöße gegen den Denkmalschutz waren sich der damalige Bezirksamtsleiter Albert Schaumann und sein Oberbaurat keiner Schuld bewusst. Werner Schlepper rühmte sein Werk in einer Sonderausgabe des Lichtwark-Heftes sogar: Der Quasi-Neubau des „Stadt Hamburg“ diene dazu, „die wahren Kulturwerte als die weltanschauliche Grundlage unserer Lebensauffassungen weitgehend zu erhalten oder wiederherzustellen“.