Hamburg. Drei Millionen Menschen sollen in den kleinen Flitzern des Tierparks gefahren sein. Jetzt sind sie in Lohbrügge wieder im Einsatz.

Diese knuffigen Miniautos waren für viele Kinder in der Nachkriegszeit und im Wirtschaftswunderland ein Traum. Für ein paar Groschen, so hießen damals die Zehnpfennigmünzen, konnte man sich im Tierpark Hagenbeck am Steuer wie ein ganz großer Rennfahrer fühlen. Zwischen 1948 und 1972 nutzten angeblich rund drei Millionen überwiegend junge Piloten diese einmalige Erfahrung im Cockpit. Die Piste befand sich in der Nähe des heutigen Spielplatzes. Nicht selten war sie der wahre Grund, dass der Nachwuchs partout in den Zoo wollte.

Fast wären die urigen, gut zehn Stundenkilometer schnellen Hagenbeck-Renner in Vergessenheit geraten. Fast. Einer bemerkenswerten Initiative ehrenamtlicher Idealisten sei Dank, werden die verblüffend gut erhaltenen Vehikel nicht nur sorgsam aufbewahrt. Nach und nach sollen die Oldtimer fachgerecht restauriert und bald wieder genutzt werden können. Hinter dieser Aktion mit dem Namen „yourmove“ („Deine Bewegung“) steckt der Sinn, Interesse für klassische Ausbildungsberufe zu wecken.

In einer Fabrikhalle in Lohbrügge sind die Rennwagen verwahrt

Volle Fahrt voraus: ein Rennwagenaus alter Hagenbeck-Zeit
Volle Fahrt voraus: ein Rennwagenaus alter Hagenbeck-Zeit © nn | nn

Um der Sache auf den Grund zu gehen, muss der Stadtteil Lohbrügge im Südosten der Hansestadt angesteuert werden. In einer Fabrikhalle mit Werkstätten und Lagern an der Straße Osterrade sind die Erinnerungsstücke einer guten Zeit verwahrt. Vor Ort warten die Ingenieure Nikolas Aichele und Werner Krassau vom 2007 gegründeten gemeinnützigen Verein „yourmove“. Beider Leidenschaft und Elan beweisen, wie intensiv Männer lieben können – auch wenn es in diesem Fall Stahlblechkarossen mit vier schmalen Reifen sind.

Fünf dieser Autos kursierten einst auf dem Oval bei Hagenbeck. Anfangs kamen sie von einer Holzrampe rollend in Schwung. Studentische Hilfskräfte zogen die Miniaturboliden an einem Seil immer wieder hoch, damit der nächste „Rennfahrer“ Platz nehmen konnte. 1952 wurden die weißgrauen, 110 Kilogramm schweren Autos mit einem 1,2 PS starken Mopedmotor ausgestattet. Dank dieses mobilen Fortschritts konnten die Deerns und Buttjes richtig fahren.

„Und abends nach Toresschluss“, erinnert sich Carl Claus Hagenbeck, insgesamt rund 40 Jahre Tierparkchef, „holten wir die Minis aus dem Schuppen und bretterten los“. Immer in Linkskurven, denn nur das ging gut. Dank gelöster Drosselschrauben brachten es die Fahrzeuge sogar auf 30 Stundenkilometer. Ein famoser Spaß.

Konstrukteur der Autos ist eine Geschichte für sich

Das sechste Exemplar, ein gelbes Fahrzeug und quasi der „große Bruder“ des Quintetts, wurde mit einem 6,7-PS-Motor bestückt und mit einer Spitzengeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern in der britischen Zone für den Straßenverkehr zugelassen. Mit Hagenbeck hatte er nichts zu tun.

Der Konstrukteur dieser sechs Autos ist eine Geschichte für sich. Cuno Bistram, ein gebürtiger Kieler, lernte bei einem Konditormeister an der Hansa­straße in Harvestehude und machte sich mit dem kleinen Automobilbetrieb auf dem Hagenbeck-Gelände selbstständig. Gebaut wurden die Fahrzeuge von einer Autoschlosserei in Eimsbüttel. Der Kurs war ein bisschen der 1929 gebauten Rennbahn „Dirt Track“ am Gazellenkamp in Lokstedt nachempfunden. Die jugendliche Kundschaft nannte die Piste im Tierpark „Avus“, in Anspielung an die legendäre Strecke in Berlin. Während die fünf Boliden nach 1972 in den Futterkammern bei Hagenbeck eingelagert und danach vom Museum für Arbeit in Barmbek aufbewahrt wurden, machte der größere Prototyp Umwege. Erst kam er in eine Ausstellung nach Tremsbüttel, dann in das Automuseum Hillers am Hamburger Hauptbahnhof und schließlich nach Madison in den Vereinigten Staaten. Tierpark-Senior Carl Claus Hagenbeck ersteigerte das legendäre Auto 2014 bei Ebay USA. Damit war der Weg zurück nach Hamburg frei. Übrigens: Auch nach Jahrzehnten sprang der Ilo-Motor auf Anhieb tadellos an. Ein kleines Wunder.

Und jetzt wartet die Autofamilie bei „yourmove“ in Lohbrügge auf weitere Nutzung. Der Verein, dem neben Claus Hagenbeck, der Stiftung historische Museen Hamburg auch die Autostadt in Wolfsburg angehört, stellt die Sammlung der Vierräder immer wieder öffentlich zur Schau. Im September dieses Jahres wurden die Miniautos im Stadtpark bestaunt, im Oktober bei den Hamburg Motor Classics auf dem Messegelände. „Es war ein Erlebnis, auf welche Begeisterung diese Flotte bei den Leuten stieß“, erinnert sich Nikolas Aichele. Bei vielen Besuchern seien wunderschöne Kindheitsträume wach geworden. Im Februar des neuen Jahres sind die Autos bei einer Messe in Bremen zu sehen.

Verein hat Großes mit den Kleinen vor

Der Verein hat Großes mit den Kleinen vor. Sie sollen für Seminare der Erwachsenenweiterbildung, für Schulprojekte und Workshops genutzt werden – als erstklassige Beispiele solider Handwerkskunst und Hamburger Wertarbeit. Immerhin werden die Miniaturflitzer 2018 70 Jahre alt. Gesucht werden Schulen und Lehrer ab Klasse fünf sowie Auszubildende, die Interesse an klassischem Handwerk und Restaurierung der Old­timer haben. Der von den britischen Besatzern nach Kriegsende zugelassene Wagen soll in einem einjährigen Programm so weit aufgefrischt sein, dass er wieder ganz normal auf Hamburgs Straßen verkehren kann. Kontakt zum TÜV besteht.

„Es handelt sich um prachtvoll anzusehende, emotionsgeladene Fahrzeuge, die man prima für die Ausbildung junger Menschen nutzen kann“, sagt „yourmove“-Geschäftsführer Werner Krassau beim Ortstermin in Lohbrügge.

Dahinter stehen aktuelle Probleme des Handwerks. Nach Erkenntnis der ehrenamtlichen Mitstreiter beklagen nicht nur Oldtimerfans Nachwuchsmangel für traditionelle Arbeitstechniken. „Im Kfz-Handwerk findet ein Generationswandel statt“, weiß der Vereinsvorsitzende Nikolas Aichele. „Die Mechatroniker der Neuzeit haben Blechverformung, Schweißen und andere bewährte Techniken oft gar nicht mehr gelernt.“ Die Generation traditionell ausgebildeter und geübter Fachkräfte sei im Ruhestand oder unmittelbar davor.

Die faszinierende Hagenbeck-Flotte soll zukünftig dazu beitragen, neue Lust am alten Handwerk zu wecken. An den Wänden der Hallen in Lohbrügge hängen Architektenzeichnungen. Die Vision: Bis 2019 soll hier auf 2080 Quadratmetern auf zwei Ebenen ein Kompetenzzentrum als außerschulischer Lernort entstehen. Motto: „Autos von gestern geben Jugendlichen eine Zukunft“. Platz ist ausreichend vorhanden. Die Herzstücke sind 1,2 PS stark und erstaunlich gut in Schwung.