Bergedorf. In dritter Generation Bergedorfs Juristen für alle Fälle – Rückblick auf die kuriosesten Fälle
Der erste Bergedorfer Rechtsanwalt wurde vor 200 Jahren geboren. Und seine Nachfolger, Familie Müller, stehen inzwischen bereits in dritter Generation allen Bergedorfern zur Seite – und das seit genau 100 Jahren. Grund genug für eine kleine Jubiläumsfeier am Sachsentor 38, wo die Kanzlei „Zweimal Müller“ seit Jahresbeginn in neuen Räumen berät. Und stolz betonen Christiane und Wolfgang Müller, dass sie „Feld-, Wald- und Wiesen-Anwälte“ seien, also auch bei kleinen (weniger lukrativen) Problemen helfen.
Aber mal ganz vorn: Im Jahr 1855, als Bergedorf die Justiz von der Verwaltung trennte, wurde der 1817 geborene Gerichts- und Amtsdiener J. Hermann Reppenhagen zum „Prokurator“ ernannt. Zu seinen Aufgaben zählte, jeden Rechtsstreit vor Gericht wahrzunehmen und leserlich festzuhalten „mit im Durchschnitt 10 Silben pro Zeile“. Zudem hat Bergedorfs Rechtshistorie Kompliziertes zu bieten, schließlich war mal Lübecker Stadtrecht in Bergedorf gefragt, mal das Sachsenrecht in den Vierlanden oder das preußische Landrecht in Sande-Lohbrügge – nicht zu vergessen das Hamburgische Recht.
Dass Justiz und Verwaltung getrennte Wege gehen sollten, entschied die preußische Zivilprozessordnung im Jahr 1879. Und der angesehen Bürger Reppenhagen, inzwischen Vorsitzender der Bergedorfer Schützengesellschaft, nahm Dr. Walther Timm in seine Anwalts- und Notarpraxis am Mohnhof auf, das war 1895. Als Reppenstedt starb, kam der erste Müller ins Spiel – allerdings noch als Referendar vertrat Johannes Müller seinen Kollegen, der in den Krieg eingezogen wurde. 1917 schlossen die beiden dann einen Sozietätsvertrag – ein wenig humpelnd: Müller hatte schon als Kind einen Fuß verloren, Timm kam mit nur einem Bein aus dem Krieg zurück.
Durchaus kauzig kann man sich ihn vorstellen, denn „er wollte nicht ständig den Hut zum Gruße erheben, wenn er durch Bergedorf lief“, erfuhr der Enkel: „So hielt er seine Bergedorfer Zeitung immer vors Gesicht, ging lesend schnurgerade ins Büro und alle mussten ihm ausweichen.“ Inzwischen war die Kanzlei über der Sparkasse an der Vierlandenstraße – wo der Großvater wunderbar durchs Fenster auf St. Petri und Pauli gucken konnte. Angesichts eines Brautpaares raunte er manches Mal: „Mal sehen, wann die bei mir zur Scheidung auftauchen.“
Auch eine „nette Klageerwiderung“ aus dem Jahr 1934 lässt schmunzeln. Die Geschichte wird sich im Landgebiet abgespielt haben: Der Bulle mit der vier Meter langen Kette sei nicht gemeingefährlich, sondern „geradezu schüchtern“ gewesen, so dass der Nachbar ihn nicht hätte verfolgen und dabei stürzen müssen. Auch sei wegen dem „spazieren gehenden Stier“ kein Schadensersatz anzuerkennen: „Es ist merkwürdig, dass immer nur neue Hosen beschädigt werden“, schrieb Johannes Müller.
Sohn Adolf Müller kam 1954 dazu und spezialisierte sich auf Scheidungs- und Mietrecht. Auch war er Testamentsvollstrecker und Nachlassverwalter: „Als Kind musste ich oft mit in alte Wohnungen. Da fanden wir zwischen den Wäschestapeln wirklich noch Geld und Urkunden“, erinnert sich Wolfgang Müller (60). Schließlich wurde mal ein Erbe ausgeschlagen, weil die Mutter angeblich pleite war – und doch eine Wohnung an der Ostsee besaß. Oder die Geschichte vom vermögenden Bergedorfer Geschäftsmann, der seinen Schwiegersohn absolut nicht leiden konnte: „Die Tochter musste mit einer lebenslangen Testamentsvollstreckung leben und noch als 70-Jährige in der Kanzlei um Geld bitten. Das war entwürdigend, zumal sie längst Witwe war“, sagt Müller, der vielen Bergedorfern auch als Kirchenvorstand von St. Petri und Pauli bekannt ist.
Er selbst folgte in Vaters Fußstapfen, trat 1988 in die Kanzlei ein – und wundert sich oft über Bergedorfs Nachbarschaften: Da wirft ein Baum zu lange Schatten, steht ein Zaun 60 Zentimeter zu dicht, da will ein Mann „auf gar keinen Fall“ die Beerdigung seiner Frau bezahlen müssen – und lässt sich nach 25 Ehejahren scheiden.
Und dann gab es noch die Geschichte von dem jungen Mann aus Myanmar (ehemals Birma), der erstmals von seinem deutschen Vater nach Hamburg eingeladen wurde: Er sollte eine Verzichtserklärung unterschreiben, doch der kranke Vater starb kurz zuvor. So erbte der Asiat zwei Häuserblocks in Berlin. „Und dann stellte die Kripo fest, dass es Mord war. Der Vater war von seiner eigenen Mutter vergiftet worden, um das Erbe für den zweiten Enkel zu sichern. Zum Glück hatten wir noch Blut des Toten entnehmen lassen können, um die Vaterschaft eindeutig zu beweisen“, erinnert sich Wolfgang Müller.
Die Kanzlei vergrößerte sich, als 1997 Ekkehard Morgenbesser dazukam. Doch der fröhliche Sozius starb 2009 auf tragische Weise: Er radelte in eine sich öffnende Autotür und zog sich schwerste Kopfverletzungen zu. Wieder wollte Wolfgang Müller nicht allein bleiben, teilte sich das Büro fünf Jahre lang mit Kollegin Iris Huth. Und schließlich – nach der Geburt von drei Töchtern – besann sich auch seine Ehefrau Christiane wieder auf ihr Jura-Studium. Heute ist die 58-Jährige Bergedorfs einzige Fachanwältin für Sozialrecht und könnte „viele Untätigkeitsklagen ans Jobcenter schicken, aber das hilft ja meist den Mandanten nicht“, sagt sie – und verhandelt im Sinne der sozial Benachteiligten weiter.
„Zweimal Müller“ heißt nun die 100-jährige Kanzlei – und es könnten noch ein paar Jahre dazukommen: Immerhin zwei Töchter liebäugeln mit der Jurisprudenz – es wird wohl eine Bergedorfer Familientradition bleiben.